Schadrach im Feuerofen
Sicherheitsbeamter.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Avogadro.«
»Wieso nicht?«
»Lieber Himmel! Fangen Sie nur nicht mit dieser Ich-bin-bloß-ein-Polizist-Masche an. Dafür sind Sie zu intelligent. Und ich bin zu intelligent, um Ihnen so was abzunehmen.«
Avogadro seufzt. »Möchten Sie, daß ich Ihnen das Buckmasterband vorspiele? Da kommt eine Stelle vor, wo Sie ihm sinngemäß sagen, es sei nicht unsere Schuld, daß die Welt so ist, wie sie ist, daß wir unser Karma akzeptieren und dem Vorsitzenden dienen müßten, weil er nun einmal am Drücker sei. Die Alternative sei Organzersetzung, nicht wahr? Darum tanzen wir nach der Pfeife des Vorsitzenden und stellten keine Fragen nach der Ethik, genauso wenig wie wir unsere Seelen in Angelegenheiten von Schuld und Verantwortung allzu genau erforschten. So ungefähr.«
»Ich…«
»Warten Sie. Sie sagten es. Es ist auf dem Band, Dottore. Ich gebe es nur dem Sinn nach wieder. Ich habe den Luxus persönlicher Empfindungen über die Rechtschaffenheit der Entscheidung, Buckmaster in die Organfarm zu schicken, längst verwirkt. Mit meinem Eintritt in den Sicherheitsdienst habe ich das Privileg aufgegeben, Gewissensbisse zu haben.«
»Waren Sie schon mal in einer Organfarm?«
»Nein«, sagte Avogadro. »Aber ich höre…«
»Ich habe welche gesehen. Lange, stille Säle, wie in einem Krankenhaus, aber sehr still. Abgesehen vom Gurgeln der lebenserhaltenden Anlagen und Apparate. Doppelte Reihen offener Tanks, dazwischen ein breiter Gang. In jedem Tank ein Körper, der in einer warmen, blaugrünen Flüssigkeit schwimmt, einer Nährlösung. Alles voller Schläuche zur intravenösen Ernährung, wie rosa Makkaroni. Zwischen jeweils zwei Tanks ein Dialysegerät. Bevor sie einen Körper in den Tank legen, töten sie das Gehirn – ein langer Spieker aus rostfreiem Stahl durch das foramen magnum, zack-, aber der Rest bleibt am Leben, Avogadro. Eine Pflanze in menschlicher Form. Der Himmel weiß, was sie wahrnimmt, aber sie lebt, muß ernährt werden, verdaut und scheidet aus. Das Haar und die Fingernägel wachsen, die Schwestern rasieren und pflegen die Körper regelmäßig, und so liegen sie da, säuberlich aufgereiht nach Geschlechtern, Blutgruppen und Gewebetypen, und werden nach und nach ausgeschlachtet und ihrer Glieder und Organe beraubt. Diese Woche eine Niere, nächste Woche eine Lunge, die Augen, die Gliedmaßen, die Genitalien, schließlich das Herz, die Leber…«
»Und? Was wollen Sie damit sagen, Doktor? Daß Organfarmen Orte sind, die sich nicht zur Erbauung eignen? Das weiß ich. Aber sie sind eine praktische und zweckmäßige Methode, Organe frischzuhalten, die zur Verpflanzung bestimmt sind. Ist es nicht besser, menschliche Körper auf diese Weise wieder aufzubereiten, als sie einzuscharren oder anders zu vergeuden?«
»Finden Sie es richtig, einen unschuldigen Mann in ein dumpf dahinvegetierendes, halb pflanzliches Wesen zu verwandeln?
Dessen einziger Zweck es ist, ein lebendiges Depot für Ersatzorgane zu sein?«
»Buckmaster ist nicht unschuldig.«
»Wessen hat er sich schuldig gemacht?«
»Er hat sich als Feind unserer staatlichen Ordnung zu erkennen gegeben. Er wünscht den Tod des Vorsitzenden. Es war unklug von ihm, offen damit herauszukommen. Jetzt ist er dran, Doktor.«
Avogadro steht auf, legt die Hand leicht auf Schadrachs Arm. »Sie sind ein Mann von Gewissen, nicht wahr, Dottore? Buckmaster hielt Sie für einen zynischen Teufel, einen seelenlosen Diener des Bösen, aber nichts dergleichen, Sie sind ein anständiger Kerl, der das Pech hat, in einer schlimmen Zeit zu leben, aber sein Bestes tut. Nun, Doktor, das tue auch ich. Ich zitiere, was Sie gestern Abend sagten: Schuld ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Amen! Und nun gehen Sie. Hören Sie auf, sich Gedanken wegen Buckmaster zu machen. Buckmaster hat sich sein Schicksal selbst zuzuschreiben. Wenn Sie die Glocke läuten hören, dann denken Sie daran, daß sie für ihn läutet, und es setzt Sie oder mich überhaupt nicht herab, denn wir haben uns bereits herabgesetzt, so weit es nur geht.« Avogadros Lächeln ist freundlich, beinahe mitleidig. »Gehen Sie, Doktor. Gehen Sie und ruhen Sie sich aus. Ich habe zu tun. Bis zum Abendessen muß ich noch ein Dutzend Verdächtige vernehmen.«
»Und der wirkliche Mörder Mangus…«
»War Mangu selbst, neun zu eins. Aber was hat das für mich zu sagen, wenn der Vorsitzende an einen Mord glauben will? Ich werde fortfahren, nach
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