Schadrach im Feuerofen
machen?« fragt Schadrach. »Sicherlich ist es praktisch und nützlich, einen Vorrat von ihnen zu haben, aber wenn sie alle zugleich anfangen, Befehle zu erteilen, könnten wir…«
»Ach nein«, sagt Crowfoot abwehrend. »Wir haben nicht vor, diesen experimentellen Wirtskörpern die übertragene Persönlichkeitsstruktur zu belassen. Diese Art von Vorsorge oder Vorratshaltung, oder wie immer man es nennen will, ist hier absolut nicht erwünscht. Wir werden die Versuchspersonen nach dem Experiment einer vollständigen Persönlichkeitstilgung unterziehen.«
»Ich verstehe. Ja. Vorausgesetzt, die Versuchsperson wird euch lassen.«
»Wie meinst du das?«
»Vergiß nicht, ihr werdet nicht mit hilflosen Lakaien oder Anstaltsinsassen zu tun haben, sobald ihr eure Übertragung gemacht habt; ihr werdet es mit Dschingis Khan II. Mao zu tun haben, der in einem neuen Körper stecken wird. Ihr werdet euch gegen den beherrschenden Geist dieses Zeitalters durchsetzen müssen, wenn er auch alt und paranoid geworden ist. Das könnte euch Schwierigkeiten machen.«
»Das glaube ich kaum«, erwidert Nicki. »Wir werden Vorsichtsmaßnahmen treffen. Hier entlang.«
Sie führt ihn weiter zu dem breiten Bedienungspult einer großen EDV-Anlage. Schadrach sieht graugrüne Metallschränke, davor einen mit Knöpfen, Kontrollleuchten, Skalen, Bildschirmen, Eingabetastaturen und allerlei unverständlichen Vorrichtungen übersäten Bedienungsstand. Hier, so erklärt sie, sei die kodierte Persönlichkeit des Vorsitzenden gespeichert, alles, was bisher aufgezeichnet worden sei, eine nahezu vollständige Rekonstruktion, die auf Reize und Herausforderungen genauso reagieren kann, wie der lebendige Vorsitzende es tun würde, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von sieben oder acht Dezimalstellen. Sie macht sich erbötig, die persönlichkeitstypische Art der Rekonstruktion anhand eines schnellen Durchlaufs zu demonstrieren, aber Schadrach, plötzlich entmutigt, zeigt wenig Interesse; sie führt ihn weiter zu einem der anderen Wunderdinge, auf das er nicht enthusiastischer reagiert, und als ob sie endlich bemerkt hätte, daß er aufgehört hat, Begeisterung für ihre technologischen Wunder zu heucheln, geleitet sie ihn in ihr Privatbüro und sperrt die Tür ab.
Sie stehen einander gegenüber, weniger als einen Meter auseinander, und er verspürt jähe überraschende Erregung. Die Intensität verblüfft ihn. Als er entdeckte, wie sie ihn verraten hatte, glaubte er, alles Verlangen nach ihr sei für immer von ihm gewichen. Aber nein. Es ist noch da, so stark wie eh und je. Die Verlockung ihres schlanken, lohfarbenen Körpers, die Erinnerung an ihren Duft, das Glitzern ihrer großen dunklen Augen… Seine Indianerprinzessin. Selbst jetzt fühlt er sich zu ihr hingezogen, selbst nachdem er weiß, daß sie ihn ohne ein Wimpernzucken opfern und auslöschen wird. Er hört auf, die nüchterne Wissenschaft in ihr zu sehen, die mit Erfindungsreichtum und Fleiß sein Verderben betreibt; er sieht nur die schöne, leidenschaftliche, unwiderstehliche Frau. Er fühlt die Anziehung ihres Körpers und merkt, daß sie die Anziehung des seinigen fühlt.
Nun, eine so große Überraschung sollte es nicht sein. Schließlich sind sie vier Monate lang Liebende gewesen; überdies sind sie allein, die Tür ist abgesperrt. Warum sollte des Verlangen nicht trotz allem über sie kommen? Dennoch erscheint ihm der unvermittelte Übergang zur Erotik vor diesem Hintergrund von Verrat, Niedergeschlagenheit und drohendem Verhängnis einigermaßen grotesk und unpassend.
Er gibt vor, nichts zu empfinden. Er rührt sich nicht von der Stelle.
»Wie kommst du zurecht, Schadrach?« fragt sie nach einer kleinen Weile in zärtlichem Ton. »Ist es sehr schlimm?«
»Ich halte durch.«
»Hast du Angst?«
»Ein wenig. Mehr Zorn als Angst, denke ich.«
»Heißt du mich?«
»Ich hasse niemanden. Ich bin kein Hasser.«
»Ich liebe dich noch immer, weißt du.«
»Hör bloß damit auf.«
»Wirklich. Das ist es ja, was mich seit Wochen quält.«
»Ich will nichts davon hören«, sagt er.
»Du haßt mich doch.«
»Nein. Ich bin bloß nicht an deiner unechten Rolle interessiert.«
»Oder an meiner Liebe?«
»Wenn sie sich so äußert, wie ich es erlebt habe, kann ich darauf verzichten.«
Sie schweigt einen Moment lang, dann nimmt sie einen neuen Anlauf und sagt: »Was hast du vor, Schadrach?«
»Wie meinst du das? Was soll ich vorhaben?«
»Du wirst nicht in Ulan Bator
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