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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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rechts.«
    Er spürte, wie sie ihn beobachtete, als er kehrtmachte
und hinausging, und hatte das Gefühl, daß er noch
etwas sagen oder bemerken oder tun sollte, aber er kam nicht
darauf, was. Bevor er die Tür zumachen konnte, rief sie:
»Mister Winter?« Er schloß die Tür. Die
kalte Luft draußen spülte wie Wasser durch seinen
Kopf.
    Sie kam ihm nach. »Sir? Möchten Sie morgen
früh nicht geweckt werden?«
    »Ich? Nein. Moment – doch. Bei
Tagesanbruch.«
    »Soll mir recht sein. Gute Nacht, Mister
Winter.«
    Das Zimmer war genauso kahl und verschossen wie das Büro.
Robbie legte sich aufs Bett, ohne sich auszuziehen. Die Bilder
leuchteten wieder innen auf seinen Augenlidern auf, so hell,
daß er sich mit dem Gesicht nach unten rollte und vor
Schmerz um sich schlug, Bilder, die irgendwie mit Gewalt aus ihm
herauswollten: ein Reisfeld am Ufer eines breiten, gelben
Flusses; rote Kerzen auf einem weißen Altartuch; ein
Bocksbeutel, der in der Mittagssonne schwer und kühl in
seinen Händen lag. In wessen Händen? In seinen.
Robbies Händen. Ja? Nein.
    Er rappelte sich vom Bett hoch, taumelte ins Bad und schenkte
sich ein Glas Wasser ein. Das Wasser schmeckte kalt und sauber.
Beim ersten Schluck rutschte ihm das Glas aus den Händen und
zerbarst auf dem Fußboden. Robbie hielt sich am Rand des
Waschbeckens fest, ließ sich langsam zurücksinken, bis
er auf dem Klodeckel saß, und merkte, wie er zu zittern
begann. Dann sah er sich zittern, er sah die Glasscherben auf dem
Fliesenboden und Mallie Callahan und Johnny Lee Benson an den
Uferbänken des Sweetwater. Beim ersten Schluck Wasser war
alles zurückgekommen, er konnte nicht verhindern, daß
es zurückkam und seinen Geist überschwemmte, und er sah
von außerhalb seines Geistes zu, wie Johnny Lee die Welt
enden ließ.
     
    »Indianer. Schau mal, da.«
    Mallie schaute. Es war eine Anstrengung; der Kopf tat ihm
immer noch weh, obwohl er ziemlich sicher war, daß es ihn
bei der Explosion nicht am Kopf selbst erwischt hatte. Sein Kopf
war ganz leicht und dann wieder sehr schwer geworden, so
daß er von seinem Körper wegzutreiben und neben Johnny
Lees Pferd und dem seinen herzuschweben schien. Das hatte er den
ganzen Tag lang getan. Jetzt, als der Blick auf den Fluß
durch die dichte Gruppe von Weiden verdeckt wurde, in der Johnny
Lee und er lagen, war sein Kopf wieder auf seine Schultern
zurückgekehrt; er wollte schlafen.
    »Schau hin, verdammt!« sagte Johnny Lee.
»Sei einmal zu irgendwas nütze, verflucht noch
mal!«
    Mallie schaute hin. Er mußte lange hingeschaut haben,
denn zuerst sah er nur ein paar Ponys in großer Entfernung.
Später war ein Lager bei den Ponys, und noch später war
eine Frau da, die sich über ein Feuer beugte, sowie eine
weitere am Wasser und ein alter Mann. Es mußte ein
richtiges Lager sein. Die Indianerin auf dem Bahnsteig
mußte es mit den 25-Cent-Stücken gebaut haben, die ihr
die weiße Frau dafür gegeben hatte, daß sie das
Baby anschauen durfte. Ein Baby war auch da; es lag in einer
Decke auf dem Boden. Kochdüfte stiegen ihm in die Nase.
    »Wenn du nicht wach bleibst«, sagte Johnny Lee
tonlos, »werde ich… so schlecht geht’s dir nun
auch wieder nicht. Für mich sind das zwei alte Männer,
zwei Frauen und die Kinder. Und für dich?«
    Für Mallie war es überhaupt nichts. Er wollte sagen,
daß er noch nie einen Indianer gesehen hatte, bevor er und
Johnny Lee mit der Eisenbahn aus St. Louis weggefahren waren,
aber ihm fielen die Worte nicht ein. Johnny Lee sah ihn so
intensiv an, daß er den Eindruck hatte, etwas sagen zu
müssen. Im Verlauf ihrer Reise war Johnny Lees Gesicht so
schwarz vor Dreck geworden, daß er wie ein Nigger aussah.
In der Nähe von St. Louis hatte es Nigger gegeben, dachte
Mallie und fühlte sich etwas besser. Er wußte
wenigstens ein bißchen was. Johnny Lee wartete immer noch
darauf, daß er etwas sagte. Also sagte er: »Haben wir
bei dieser Explosion Geld gekriegt, Johnny Lee?«
    Einen Moment herrschte Schweigen, bevor Johnny Lee antwortete.
Seine Hände lagen an seiner Satteltasche.
»Nein.«
    Mallie nickte. »Manchmal spüre ich meinen Kopf. Er
fällt ab.«
    Johnny Lee starrte zu den Indianern hinüber.
    »Sind wir wieder den Elefanten angucken gegangen, Johnny
Lee?«
    »Verdammt und zugenäht«, sagte Johnny Lee
leise. Er kauerte unter den Weiden, und seine rechte Hand
streichelte den Kolben seiner Pistole. Mallies Blick blieb

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