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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Ortes wie ein Film vor seinem geistigen
Auge lag: sein Bild und das von Mallie. Aber als er auf dem Boden
mit einer weiteren langen Klettertour begann, änderten sich
Landmarken, die aus der Luft fest und klar ausgesehen hatten. Ein
Schimmer lag auf jedem verlassenen, stillen Sims, ein Film der
Erinnerung, der sich verschob und sich fältelte, bis Robbie
nicht mehr sicher war, daß dies der richtige Ort war, bis
er überhaupt nichts mehr sicher wußte, außer
daß er am liebsten geschrien hätte, um die leere,
leuchtende Luft mit etwas Lärm aufzuladen.
    Er begann mit dem Abstieg von dem Sims, dem falschen Sims, zu
der Stelle zurück, wo er den Wagen abgestellt hatte. Er
hatte Kopfschmerzen. Die Schultern taten ihm weh, und seine
Beinmuskeln stöhnten. Er schleppte sich zum Luftwagen,
startete und suchte ein neues Gebiet ab, bis er unter sich einen
anderen Quecksilberstrom sah, der vom Fluß abzweigte, dann
– fünfzehn Minuten später – ein anderes
Plateau und einen anderen Felsvorsprung.
    Was, wenn der richtige Bach nach hundertvierzig Jahren nicht
mehr existierte? Wenn die Stelle, wo er in den Fluß
mündete, unter einer Decke aus Baumkronen lag und von der
Luft aus nicht zu sehen war? Wenn…
    Robbie landete auf einem weiteren ebenen Plateau. Diesmal war
es eine kahle Geröllfläche, das Resultat eines kleinen
Erdrutschs von oben, außen herum von Pinien gesäumt
wie eine grüne Tonsur. Unter den Bäumen trug das Licht
bereits die blauen Schatten des Abends in sich. Die in hellerem
Blau gehaltene Lackierung des Luftwagens, die an diesem Morgen am
Flughafen noch so geglänzt hatte, war von kleinen Steinen
zerkratzt und mit nassen Blättern tätowiert. Kleine
Steinchen verstopften den verchromten Kühlergrill. Die
Treibstoffanzeige zeigte, daß der Tank schon zu zwei
Dritteln leer war.
    Von der kahlen Lichtung aus stieg Robbie zu dem Sims hinauf.
Die ferne, große Felswand auf der anderen Seite leuchtete
in den langen, schräg einfallenden Sonnenstrahlen auf. Er
fand sie nicht hübsch; er fand nichts in dieser
gottverlassenen Einöde hier draußen hübsch. Sein
Schatten bewegte sich vor ihm, ein dunkles Leuchtfeuer. Zu seiner
Linken erbebten und vibrierten sämtliche Blätter einer
Gruppe hoher, dünner Bäume bei jeder kleinen Brise,
zittrig und schwach. Unter ihm fiel der Berg in wirren, tiefen
Falten ab. Er kletterte schneller. Sein Atem ging schwer.
    Der Wind frischte auf. Paul, flüsterte er ihm zu. Paul. Robbie schüttelte den Kopf, aber davon wurde er
nur noch benommener, und das Pochen in seinem Schädel wurde
schlimmer.
    Diesmal glaubte er wirklich, es gefunden zu haben. Am oberen
Ende des Abhangs machte das Sims eine jähe Biegung, und ein
schmaler, mit Geröll übersäter Pfad
schlängelte sich zwischen Felsbrocken hindurch. Hinter
seinen Augen explodierte auf einmal ein Licht, so erschreckend
und unerwartet, daß er gegen den nächsten Felsblock
taumelte und sich mit einer Hand in den rauhen, grauen Granit
krallte. Dann erlosch das Licht; er ging weiter, zwischen den
Felsbrocken hindurch – und stand vor einer kahlen
Felswand.
    Enttäuschung befiel ihn. Es war wirklich wie ein Anfall:
ein Krampf in seinem Gehirn, der ihm alle Kraft raubte und ihn
keuchen ließ. Er stützte sich an die Wand, die keine
Höhle war, die nicht die Höhle war. Steine
schrammten über seine Wange und hinterließen einen
dünnen Streifen Blut.
    Paul.
    Robbie richtete sich auf. Hoch über ihm in der klaren
Luft kreiste träge ein großer Vogel. Er wußte
nicht, was für ein Vogel es war; Vögel hatten ihn noch
nie interessiert. Er wußte, daß die Stimme nicht von
dem Vogel, sondern aus seinem Kopf kommen mußte, aber seine
Worte waren an den Vogel gerichtet: »Verdammt noch mal, ich
kenne keinen Paul!« rief er laut.
    Das Echo der Worte wurde von allen Felswänden, all den
nackten Steinen zurückgeworfen: PAUULL…
Pauuulll… Paul…
    Absonderlicherweise ging er ihm nach dem Ausruf und den Echos
besser. Er sammelte die letzten Kräfte in seinem müden
Körper, zwängte sich wieder durch den Spalt zwischen
den Felsen hindurch und machte sich an den Abstieg zum Wagen.
    Als er dort ankam, hatte der Himmel die Farben des
Sonnenuntergangs anzunehmen begonnen. Lange, rosarote Streifen
zogen sich über die violetten Berge.
    Die Luft um ihn herum wurde klar und golden; sie hatte einen
würzigen Geruch, den Geruch von Pinien und etwas anderem,
das der Geruch des

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