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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Art
Zeitschleife! Wieso?«
    Pirelli schüttelte den Kopf. Caroline setzte sich auf die
Bettkante und legte Robbie eine Hand auf die Stirn. Sie
fühlte sich kühl an. »Für immer? Ohne in der
Gegenwart leben zu können, in Erinnerungen steckengeblieben,
in der Vergangenheit gefangen – für immer?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Pirelli.
»Ich bin kein Arzt.«
    »Sie meinen, es hat vielleicht Robbies Gegenwart
ausgelöscht, dieses Ding – ein für allemal? Wie
eine andere Version der Seuche?«
    »Überleben. Sein eigenes. Brekke ist eine Art
Nexus, ein Nervenzentrum… dagegen kann er nichts machen,
ebensowenig wie eine einzelne Zelle Ihres Körpers etwas
dagegen machen kann, als erste vom Krebs umgeformt zu
werden.«
    Zum erstenmal seit fünfzehn Minuten sagte Joe etwas.
»Anthropomorphismus.«
    »Daten«, sagte Pirelli.
    Die beiden Männer sahen sich wie Revolverhelden an.
Wolken zogen vorbei, und das Sonnenlicht fiel in staubigen,
schrägen Strahlen wie Stangen durchs Fenster herein.
»Du willst einfach nicht sehen, was für eine
große Sache das ist«, sagte Pirelli, halb fragend und
halb herausfordernd. »Was es bedeutet, zum
Teufel.«
    »Brauch ich auch nicht«, gab Joe so bitter
zurück, daß Caroline aufblickte, wobei sie die Hand
auf Robbies Stirn ließ. »Du machst das
schon.«
    »Angel«, sagte Pirelli. »Robin. Du hast kaum
das Recht, anderen globales Denken auf Kosten des Individuums
vorzuwerfen.«
    Joe wandte sich ab. Caroline erinnerte sich auf einmal an Joes
Gesicht während Robbies beiden langen Strängen
unzusammenhängender Bruchstücke aus anderen Leben: an
seine großen Augen und seinen Schock, während er sich
erinnerte. Sich erinnerte. »…ebensowenig wie
eine einzelne Zelle etwas dagegen machen kann, als erste vom
Krebs umgeformt zu werden.«
    Oder als zweite.
    »Was wird mit Brekke?« fragte Joe den
Sanitäter sehr leise.
    »Ich kann nichts mehr für ihn tun«, sagte der
Mann. »Ein Gehirnwäsche-Spezialist des FBI aus
Washington ist schon unterwegs.«
    Carolines Hand spannte sich. Robbies kühle, schlaffe Haut
reagierte nicht. Er hätte Timmy sein können, der keine
Ohrenschmerzen mehr hatte und endlich schlief. Der in Sicherheit
war. Für den Augenblick jedenfalls, in Sicherheit vor der
Erinnerung – seiner, ihrer, der der anderen, der von allen.
Aber er würde nicht immer in Sicherheit sein. Nicht vor
einer Gaia des Menschheitsgedächtnisses, die danach strebte,
ihre eigene Existenz ebensosehr – oder ebensowenig –
zu regulieren wie die Erde selbst. Nicht vor dem kollektiven,
globalen Bestreben aller Leben – jedes einzelnen Lebens,
und sei es auch noch so kurz gewesen, das jemals in menschlicher
Gestalt herumgelaufen, gekrabbelt oder gekrochen war –, zu
überdauern. Sie konnte Robbie nicht vor seinen Erinnerungen
bewahren, ganz gleich, wie sehr sie es sich wünschte, um
sich ihre zu bewahren. Er würde der Gefangene einer neuralen
Gaia bleiben, die zu unpersönlich war, um sich ihre komplexe
Biosphäre zerstören zu lassen, und zu
selbstsüchtig, um Robbie zu zerstören, den
erwählten Nexus ihrer Evolution zu dem, was als
nächstes kam… Robbie würde dort gefangen
bleiben, zwischen Geburt und neuralem Tod, zwischen Licht und
Dunkelheit, bis Gaia sich wieder angepaßt hatte. Denn was
zählte, war das umfassende Muster, die umfassende
Geschichte, die Evolution der Menschheit, nicht das individuelle
Leben mit seinen Dummheiten und Fehlern, seiner kleinen,
erbärmlichen Liebe, seinem Haß und seinen
Kümmernissen, all dem, was so monumental schien, jedoch
absolut unwichtig war ohne die fortwährende Erfindung und
Erfüllung durch die Erinnerung…
    »Nein«, sagte Caroline.
    Der Sanitäter sah sie an, als ob er sich ein wenig in
seiner Berufsehre verletzt fühlte. Er war ein dünner,
langgliedriger Mann mit einem dicken Schnurrbart. Vor Carolines
innerem Auge tauchte eine Erinnerung auf. Aus diesem Leben. Aus
dem Speicher, der Schatztruhe, der Andersartigkeit des eigenen
Ich… um Himmels willen, Caroline, lösch das
Herumreiten auf der Bühnendekoration.
    »Tut mir wirklich leid, Ma’am«, sagte der
Sanitäter reserviert. »Es gibt nichts, was irgendwer
– und nicht nur ich – im Moment für ihn
tun könnte.«
    Sie legte die andere Hand auf Robbies Schulter. Er bewegte
sich ein bißchen, zog die Arme zu den Knien hinunter, wie
ein Kind.
    »Doch«, sagte Caroline, »es gibt
etwas.«
    Pirelli sah sie

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