Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
Betonung auf das letzte Wort
und wußte, daß Shahid den Spott mitbekommen
würde.
    Der Historiker trat einen Schritt zurück, schaute hoch
und blickte Robbie direkt in die Augen. Shahids schwarze Augen
sahen stumpf und undurchdringlich aus. »Nein. Das stimmt.
Ich kann Sie nicht hierbehalten. Aber ich kann Sie so
eindringlich wie nur irgend möglich davor warnen, was
geschehen könnte, wenn Sie gehen. In den letzten Wochen
haben Sie nicht einmal an der Hälfte der Trainingskurse
teilgenommen, für die Sie eingeteilt waren. Jetzt haben Sie
sich an etwas erinnert, an etwas Aufregendes und Angenehmes. Sie
glauben, es wird immer so einfach sein wie bei dieser Erinnerung,
was es auch sein mag. Aber es hat sich herausgestellt, daß
Sie eine hohe Erinnerungsschwelle haben, was für
gewöhnlich auf einen inneren Konflikt hindeutet. Ihre
psychologischen Profile weisen darauf hin, daß Sie eine
ausgeprägte Fähigkeit besitzen, jede Realität zu
mißachten, die Sie nicht sehen wollen, und dazu ein
großes Talent zur Selbsttäuschung. Bei diesen
Charaktereigenschaften wird jede problematische Erinnerung
an…«
    »Das reicht«, sagte Robbie. Der Scheißkerl
verdarb ihm die ganze Stimmung. Und das war zum Teil Robbies
Schuld. Jeden Tag hatte er eine miese kleine Freud-Fliege an sich
herangelassen… »Machen Sie das Tor auf!«
    Shahid sah ihn unverwandt und lange an. Dann machte er eine
Handbewegung zu dem Kabuff. Am Tor flackerte es blau, ein Zeichen
für den Zusammenbruch des E-Felds. Die Wache zog das
verzierte schmiedeeiserne Tor auf.
    »Ich bitte Sie noch einmal, es sich zu überlegen,
Mister Brekke. Sie sind nicht so geschützt, wie Sie glauben.
Daß die Erinnerung im Innern Ihres Schädels steckt,
heißt nicht, daß sie nicht wenigstens teilweise von
außen entdeckt werden kann.«
    Der kleine Mann versuchte, ihm einen Schrecken einzujagen.
Robbie warf Shahid einen verächtlichen Blick zu und ging zum
Tor. Hinter ihm sagte der Historiker leise: »Das, woran Sie
sich erinnert haben, geschah im neunzehnten Jahrhundert in einem
englischsprachigen Land, und Sie waren entweder beim Militär
oder in eine andere bewaffnete Aktivität
verwickelt.«
    Robbie wirbelte herum. Shahid lächelte müde.
»Sie haben zweimal das Wort >charmant< benutzt, in
zwei verschiedenen Bemerkungen. >Charmant< ist schon im
letzten Jahrhundert kaum noch umgangssprachlich verwendet worden.
Des weiteren kommen solche linguistischen Übertragungen nur
vor, wenn man in dem früheren Leben die gleiche Sprache
gesprochen hat wie im jetzigen. Und als Sie gerade eben die Faust
geballt haben, bewegte sich ihre rechte Hand zur Hüfte, wo
man eine Pistole oder einen Säbel zu tragen pflegte, aber
nur, wenn man seine Waffen nicht zu verbergen brauchte. Das galt
für Soldaten. Wachen. Cowboys.«
    Robbie stand absolut reglos da. Dann schüttelte er den
Kopf und lächelte. »Salontricks, Shahid. Ich
gehe.«
    »>Salon<, Mister Brekke?«
    Das Taxi hupte ungeduldig. Robbie ging durchs Tor hinaus und
zwang sich, der Frau in dem Kabuff ein strahlendes Lächeln
zuzuwerfen. Sie lächelte zurück, schaute dann jedoch
ängstlich zu Shahid hinüber.
    Dieser kleine Vorfall munterte Robbie plötzlich auf. Die
arme Kleine – sie hatte Angst vor einem vertrockneten
akademischen Pfaffen. Ausgerechnet. Er, Robbie, konnte ihr
zeigen, daß es auch anders ging. Schade, daß sie
nicht besser aussah.
    »Schönen guten Morgen«, begrüßte
ihn der Fahrer.
    »Und wie«, erwiderte Robbie so heftig, daß
sich der Mann kurz im Sitz umdrehte, um ihm einen Blick
zuzuwerfen. Robbie lachte. Das Taxi machte kehrt und fädelte
sich in den Verkehr ein, bis Shahid nur noch ein kleiner brauner
Fleck hinter dem reaktivierten Tor war.
     
    Auf Rochester International wimmelte es von Gaisten, die
gerade eine große Demonstration abhielten. Jemand Wichtiges
mußte entweder gleich ankommen oder gleich abfliegen,
dachte Robbie. Einen Moment lang kam ihm nur ein einziger Name in
den Sinn: Sam DeLorio. Robbie schüttelte den Kopf, um ihn
klar zu bekommen. Das war Prokops Werk – seine ganzen
Fragen über DeLorio und Kyle, und das einzige, woran Robbie
denken konnte, war der tote, korrupte Industrielle, der der Vater
dieser Bande weißgewandeter Sänger mit teuren
elektronischen Schildern war.
    Die Demonstranten hatten sich an drei Stellen konzentriert.
Gaisten tanzten in der Mitte der riesigen, offenen Schalterhalle,
die vor zwanzig

Weitere Kostenlose Bücher