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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Möglicherweise sah es ganz flott aus, zumindest bei jemandem
in seinem Alter. Vielleicht würden die Frauen drauf
stehen.
    Auf Johnny Lee Benson hatten die Frauen zweifellos
gestanden.
    Robbie legte ein dunkelrotes, mit Silberfäden
durchwirktes Hemd zusammen und grinste dabei in sich hinein. Er
konnte Johnny Lee richtig vor sich sehen, nachdem er wochenlang
überhaupt nichts gesehen hatte. Alle anderen im Institut
schienen sich so mühelos an frühere Leben zu erinnern.
Alles mögliche konnte solche Erinnerungen bei ihnen
auslösen. Er selbst, so schien es, löste andauernd
welche aus. Caroline brauchte bloß ein Hemd zu sehen, das
er sich gerade frisch angezogen hatte, dieser Eisbrocken McLaren
hörte ihn eine kleine Melodie von Bach pfeifen, oder dieser
verrückte Journalist Prokop, der glaubte, ein toter
Millionär zu sein, ging am Seeufer spazieren, während
Robbie gerade schwamm, und schon bekamen sie diesen
Gesichtsausdruck, der bedeutete, daß eine Erinnerung aus
einem anderen Leben in ihrem jetzigen nach oben kam: ein leicht
verschwommener Blick, ein kurzzeitig eingefrorenes Lächeln
und eine Kopfhaltung, als ob sie auf Echos horchten. Sie alle
hatten diesen Gesichtsausdruck mehrmals am Tag. Alle außer
ihm.
    Er hatte seit seiner Operation vor drei Wochen nur vier
Erinnerungen gehabt, und die waren allesamt wertlos. Einmal war
er ein krankes Kind gewesen. Einmal ein Junge, der auf einem
Elefanten ritt. Einmal ein Arbeiter in China. Und einmal ein
Mann, ein sehr hungriger Mann, der mit einem spitzen Stock nach
Kartoffeln grub. Keine davon war mit einer Situation verbunden
gewesen, die irgendeinen Gewinn abwerfen konnte, auch wenn er
alle vier mit den kompletten Daten, Namen und allem Drum und Dran
ins globale Datennetz eingegeben und auf umfassendere
Informationen gehofft hatte, die von Nutzen sein konnten. Nada.
    »Sie haben eine hohe Auslöserschwelle für
Erinnerungen«, hatte dieser verdammte Shahid mit seiner
leisen Stimme gesagt. Robbie traute Leuten nicht, die so leise
sprachen. »Genauso wie manche Menschen eine hohe
Schmerzschwelle haben. Das ist normal.«
    Robbie war gereizt gewesen. Was für ein Name war Patrick
Martin Shahid überhaupt, besonders für einen Priester?
»Woher wollen Sie wissen, was >normal< ist, wenn die
Technik gerade mal zwanzig Jahre existiert?«
    Ein merkwürdiger Ausdruck ging über Shahids Gesicht:
Anspannung, zu stark für die Situation. Viel zu stark. Das
hatte Robbies Interesse geweckt, aber Shahid hatte nur gesagt:
»Wir haben bereits eine erstaunliche Masse von Daten
darüber, was normal ist. Ihre Erinnerungen kommen schon
noch.«
    »Ich mache mir keine Sorgen.«
    Shahid hatte ihn unnötig lange nachdenklich betrachtet.
»Gut.«
    Und er hatte sich auch keine Sorgen gemacht. Aber
trotzdem, als seine Finger sich so fest um Carolines Ohrring
geschlossen hatten, daß sich eine der spitzen
Verstärkungen in sein Fleisch bohrte, bis er blutete, war es
das gewesen. Der Auslöser. Die Erinnerung. Der Lohn.
    Und Seymour Hatton wußte nichts davon.
    Jedenfalls sprach nichts dafür. Hatton mochte ins
Institut hineingelangen; Robbie zweifelte nicht daran, daß
wenigstens einer aus der Armada der Bediensteten, die
täglich ein und aus gingen, Berichte über Robbies
ständige Anwesenheit über das eine oder andere
Datennetz weiterleitete. Hatton mochte sogar bis in sein Zimmer
vorgedrungen sein; Zimmermädchen und Kellner waren billig,
so billig, daß es sogar die Ausgaben für einen
spekulativen Nebenzweig wie Robbie rechtfertigte. Aber Hatton
konnte nicht in seinen Kopf eindringen.
    Das war wirklich das Schöne an diesem
Frühere-Leben-Deal. Niemand konnte wissen, an welche Dinge
aus einem anderen Leben er sich erinnert hatte, oder wo und wann
es gewesen war, wenn er es nicht ins Netz ausquatschte. Jedes
normale Psychoprogramm, mit dessen Hilfe Hatton sich von
irgendeinem Befehlsempfänger vorhersagen lassen mochte, was
Robbie als nächstes tun würde, war höchst
unzuverlässig. Es konnte die Schritte und die Handlungen von
Robbie Brekke extrapolieren – aber nicht die von Sean
Malcolm Callahan.
    Mallie Callahan. Der war er gewesen, als er Johnny Lee Benson
kennengelernt hatte. Fünfzehn Jahre alt und immer noch blau
und grün von der letzten Tracht Prügel, die er von
seinem Vater bezogen hatte. Gott, es war alles so deutlich!
    Robbie stopfte seine restliche Unterwäsche in die
Reisetasche, preßte seinen

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