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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Daumenabdruck in die Vertiefung
des Schlosses und hob die Tasche hoch. Auf einmal befiel ihn ein
unbehagliches Gefühl. Es kam aus dem Nichts, entsprang
keinem Gedanken und keiner Besorgnis, die er identifizieren
konnte. Und dann war es genauso schnell wieder verschwunden.
    Es war alles in Ordnung. Bestimmt war alles in
Ordnung.
    Robbie runzelte die Stirn. Was, zum Teufel, hatte das nun
wieder zu bedeuten, und woher war es gekommen? Natürlich war
alles in Ordnung. Es war in der Tat geradezu perfekt.
    Er verschloß die Tür hinter seinen restlichen
Habseligkeiten; in ein paar Tagen würde er zurück sein.
Der Flur und der Fahrstuhl waren leer. In der Eingangshalle
blickte die Frau an der Anmeldung kaum von ihrem Terminal auf,
als er vorbeikam. Zwei weitere Karnies, die er nur vom Sehen
kannte, warfen einen neugierigen Blick auf seine Reisetasche,
jagten jedoch nichts. Die Septemberluft roch kühl und
frisch. Niemand hielt ihn auf, bis er zum Tor kam.
    »Kann ich Ihnen helfen, Sir?« Der weibliche
Wachposten kam aus seinem Kabuff heraus. In den Kunststoffenstern
und der Tür sah Robbie die wäßrigen Spiegelungen
flackernder Bildschirme.
    »Nein danke. Ich hab mir ein Taxi bestellt.«
    »Darf ich Ihren Besucherpaß sehen, Sir?«
    »Ich bin kein Besucher. Entschuldigen Sie, mein Taxi ist
da.«
    »Darf ich Ihren Mitarbeiter- oder Patientenausweis
sehen, Sir?«
    »Nein, dürfen Sie nicht. Ebensowenig wie meinen
Daumenabdruck, meinen Infrarot-Scan oder die Größe
meines Lichtstifts. Mein Taxi ist da.«
    »Bitte warten Sie einen Moment, Sir.« Die Frau
ging wieder in ihr Kabuff und schloß die Tür. Sie
stellte sich so hin, daß sie sowohl Robbie als auch einen
Bildschirm im Blick hatte, den Robbie nicht sehen konnte. Er
beobachtete, wie sich ihre Lippen lautlos bewegten. Das Tor stand
natürlich unter Strom. An den Lichtmasten waren zweifellos
die Kameras angebracht. Robbie legte den Kopf in den Nacken und
winkte.
    Die Wache machte die Tür auf. »Doktor Shahid wird
gleich hier sein, Mister Brekke.«
    »Zahlt er dann auch, was inzwischen auf dem Taxameter
aufläuft?«
    »Doktor Shahid wird jeden Moment hier sein.«
    Shahid kam in einem Wägelchen des Wartungstrupps, einem
lächerlich kleinen, offenen Fahrzeug, das mit Sonnenenergie
angetrieben wurde. Es war das erste Mal, daß Robbie
jemanden sah, bei dem der Sitz nicht viel zu klein wirkte. Sein
glattes braunes Gesicht sah unbewegt aus, aber Robbie spürte
deutlich die Spannung, als der Historiker ausstieg. Das
amüsierte ihn. Historiker, Priester, was auch immer, Shahid
war eindeutig ein Spießer. Manchmal machte es Spaß,
die Höflichkeit eines Spießers mit der gleichen
Höflichkeit zu beantworten und das Spiel nach dessen Regeln
zu spielen. Robbie lächelte. Was dieser steife, fromme
Historiker wohl von Johnny Lee Benson gehalten hätte?
    »Sie scheinen glücklich zu sein, Mister
Brekke.«
    »Das bin ich, Doktor Shahid. Wie charmant von Ihnen, zum
Tor zu kommen, um mir auf Wiedersehen zu sagen.«
    »Sie verlassen uns?«
    »Nur für ein paar Tage.«
    »Darf ich fragen warum?«
    Robbie grinste. »Nein.«
    Shahid erwiderte das Lächeln. »Ich fürchte, es
wäre nicht klug von Ihnen, uns jetzt zu verlassen, Mister
Brekke. Sie haben Ihr Training im Umgang mit den neuen
Erinnerungen noch nicht abgeschlossen.«
    »Wie charmant, daß Sie sich Sorgen
machen.«
    »Das tue ich, Mister Brekke. Patienten, die uns zu
früh verlassen haben, weil sie ihre neuen geistigen
Dimensionen im Griff zu haben glaubten, obwohl es nicht der Fall
war, haben es manchmal bereut. Sie wurden von verstörenden
Erinnerungen überwältigt und hatten keine ausreichende
Anleitung darin, wie sie diese in ihre gegenwärtigen
Anschauungen integrieren sollten. Emotional
überwältigt, moralisch
überwältigt.«
    »Aber nur manchmal.«
    »In Ihrem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit, würde
ich meinen.«
    »Würden Sie? Tut mir leid, das zu hören. Wenn
Sie jetzt bitte den Strom im Tor abschalten lassen
würden…«
    Shahids Lächeln erlosch. »Sie können nicht
weg.«
    Robbie ging ganz langsam auf Shahid zu und blieb erst stehen,
als er so nah bei ihm war, daß sich ihre Schultern
berührten. Shahid reichte Robbie nicht ganz bis zum Kinn.
Höflich und ruhig sagte Robbie: »Bluffen Sie nicht,
Doktor. Sie können mich nicht hierbehalten, und Sie wissen
es. Weder rechtlich, noch emotional, noch moralisch.« Er
legte eine leichte, hämische

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