Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
Bauchschmerzen hatte…
     
    LIEBE MUTI,
    WIE GEHT ES DIR? MIR GEHT ES GUT. ICH HATTE KUCHEN ZUM
ESSEN. MISS HARLOW HAT MIR EINEN ROTEN SCHAL
GESTRICKT…
     
    … einen, in dem Miss Harlow häkelte oder
flickte oder fickte oder irgendwas anderes tat als
unaufhörlich rote Schals für ein Kind zu stricken, das
unaufhörlich Kuchen aß…
     
    LIEBE MUTI,
    WIE GEHT ES DIR? MIR GEHT ES GUT. ICH HATTE KUCHEN ZUM
ESSEN…
     
    … einen, in dem sich jemand die gottverdammte
Mühe machte, ihre Schreibweise von >Mutti< zu
verbessern, das war doch wohl nicht zu viel verlangt bei dem, was
Charles und sie dem Laden bezahlten, verdammt…
     
    LIEBE MUTI,
    WIE GEHT ES DIR? MIR GEHT ES GUT…
     
    … einen ohne den ewig gleichen Radiergummifleck
in der gleichen Ecke oder die gleiche winzige Träne,
getreulich dupliziert, ein Drittel des Wegs zur Ecke links
oben…
     
    LIEBE MUTI,
    WIE GEHT ES DIR?…
     
    … einen…
     
    LIEBE MUTI,
     
    Schließlich waren keine Briefe mehr gekommen. Charles
hatte den ganzen Stapel in ihrem Schlafzimmer entdeckt und war
explodiert wegen ihrer >Heimlichtuerei< und der
>Theatralik<, mit der sie alle für sich behalten
hatte: Wirklich, Caroline, du wirst deinem Vater von Tag zu
Tag ähnlicher! Und Colin hatte mit makabrem Timing
versucht, sie zu besuchen und eine dramatische Aussöhnung zu
inszenieren: Callie, in dieser Zeit des Kummers möchte
ich nur helfen… Und Caroline war in einem Krankenwagen
mit Sirenengeheul und Blaulicht durch die New Yorker Nacht zum
Mount Sinai gerast, einen Sanitäter an jedem Handgelenk. Und
als sie schließlich wieder nach Hause kam, war nur noch
dieser eine Brief dagewesen, der erste, im Safe mit dem Schmuck
ihrer Großmutter und den Ohrringen aus gebogenen goldenen
Mondhälften, die Colin ihr zum vierzehnten Geburtstag
geschenkt hatte.
    Caroline faltete den Brief wieder zusammen und legte ihn in
den Safe zurück. Das Abendessen war schon vorbei. Sie erwog,
sich ein Tablett heraufschicken zu lassen, aber sie hatte keinen
Hunger. Dann erwog sie, Joe McLaren zu fragen, ob er in Ruhe
etwas mit ihr trinken wollte, und zwar in der kleinen Bar oben im
Gebäude, wo ein Pianist jeden Abend von neun bis elf spielte
und Wünsche erfüllte, bei denen den Leuten oft ein
komischer Ausdruck ins Gesicht trat, wenn sie sich an
frühere Leben erinnerten oder auch nicht. Aber McLaren war
in den letzten Tagen reserviert und brüsk gewesen. Offenbar
beschäftigte ihn etwas. Sie erwog, bei Patrick Shahid
vorbeizuschauen; wenn der kleine Priester nicht über seinen
Daten brütete, hatte er einen scharfen, trockenen Humor, der
ihr gefiel. Aber dann fiel ihr ein, daß Patrick übers
Wochenende fort war, um irgendwo einen Besuch zu machen. Wo,
hatte er nicht näher erläutern wollen.
    Caroline legte den Safe wieder in die unterste Schublade der
Kommode zurück und reaktivierte die E-Felder. Dann griff sie
nach der blauen Vase mit den silbernen Fasanen und lehnte sich
dort ans Bett, wo Robbie vor einer halben Stunde gesessen hatte.
Ihr Daumen strich über die makellosen Rundungen der Vase. So
eine hatte auf einem kleinen, mit Schnitzereien verzierten Tisch
gleich hinter der Tür zum Hof gestanden, mit einem
Strauß Pfirsichblüten, Quitten oder Birnen
darin…
    Der Hof.
    Die Flöte.
    Tsemo, und das Lachen ihrer Kinder… immer, immer die
Kinder…
    Ihre Finger bewegten sich hypnotisch über das blaue
Porzellan, und sie lächelte.

 
7.
ROBBIE
     
    Es war zunächst einmal pures Glück gewesen, was ihn
zu Johnny Lee Benson geführt hatte.
    Darüber staunte Robbie am meisten – wieviel
turmhohes, zufälliges Glück dabei im Spiel gewesen war.
Und überdies war es auch pures Glück gewesen, daß
er sich jetzt überhaupt daran erinnert hatte. Wenn Caroline
ihm nicht die Ohrringe geschenkt hätte…
    Er packte sie ganz zuletzt ein, ließ sie auf der
institutseigenen blauen Tagesdecke liegen, während er
Hemden, Hosen und Stirnbänder in eine weiche, rechteckige
Kunstledertasche stopfte. An einer Seite der Reisetasche war die
übliche abnehmbare, geschützte Tasche für
Software; in die würde er die Ohrringe tun, zusammen mit
DeFillippos praktischem Gerät. Robbie hatte nie Software bei
sich.
    Vielleicht würde er die Ohrringe auch tragen. Einen
jedenfalls. Er konnte sich mit dem spitzen Teil der
Verstärkung des Ohrrings ein Loch ins Ohr machen. Das war
zwar seit zwanzig Jahren aus der Mode, aber wen kümmerte es?

Weitere Kostenlose Bücher