Schädelrose
unbegründeter Anwesenheit
hatte weich lächeln sehen – und erwiderte seinen
Blick. Joe unternahm eine bewußte Anstrengung, ein
freundlicheres Gesicht zu machen.
»Und wo ist er jetzt?«
»Am Haupttor. Das Institut läßt nicht jeden
herein, bloß weil er erklärt, er würde erwartet,
Mister McLaren.«
»Ich habe erklärt, daß ich ihn
erwarte. Angel Whittaker ist mein Sekretär, und ich bin
sicher, er konnte sich entsprechend ausweisen. Und mir schien,
daß Sie Colin Cadavy recht schnell hereingelassen
haben.«
»Mister Cadavy ist ein Angehöriger von Miss
Bohentin.«
Joe bemühte sich, seine Überraschung nicht zu zeigen
– und stellte gleich darauf fest, daß sie nicht so
groß war, wie sie hätte sein sollen. Caroline war
selbst eine halbe Schauspielerin, in jeder Sekunde ihres
Lebens.
»Ihr Vater?« fragte er die Frau, aber diese beugte
sich nur zu ihrem Bildschirm und schaute ostentativ darauf.
Brekke hätte gewußt, wie er sie dazu bringen
konnte, zu antworten. Charme. Bestechung. Pheromone. Kurz nach
Colin Cadavys Ankunft hatte er Brekke und Caroline zusammen zu
ihrem Zimmer gehen sehen. Cadavy war wieder herausgekommen;
Brekke nicht.
Joe verließ die Eingangshalle und ging über die
Auffahrt zum Tor. Kurz bevor die Auffahrt im Bogen in eine
Baumgruppe hineinführte, erhaschte er hinter der
hochragenden Masse des Instituts einen flüchtigen Blick von
Bill Prokop, der mit einer Aktenmappe am Seeufer entlangging. Joe
beschleunigte seine Schritte. Prokop war in den letzten paar
Wochen immer seltsamer geworden; ständig hatte er irgendwem
in den Ohren gelegen, nach Erinnerungen an Armand Kyle, Paul
Winter und Sam DeLorio zu forschen, die alle tot waren. Was
unternahmen Armstrong und Shahid und die übrigen
hochrangigen Mitglieder des Institutspersonals deswegen? Nichts,
soweit Joe sehen konnte. Ein Operationsrisiko. Ein unerwartetes
und bedauerliches Resultat einer freien Entscheidung. Prokop
hatte das Recht, würden sie wahrscheinlich sagen, in jedem
Leben seiner Wahl still und heimlich verrückt zu werden.
Selbst in einem, das er in Wirklichkeit gar nicht gelebt
hatte.
Angel wartete draußen vor dem Sicherheitstor. Joe erwog,
die Wache aufzufordern, ihn hereinzulassen, entschied sich jedoch
dagegen und ging hinaus. Als er Angel sah, war er sofort
beunruhigt. Statt im Schneidersitz auf der Kühlerhaube des
Taxis zu hocken oder eine Tirade auf den Wachposten loszulassen,
stand Angel steif am Bordstein. Sein Stirnband saß schief,
und auf seiner Hemdbrust war ein Fleck von verkleckertem Essen
– Angel, der normalerweise ungeheuer auf seine hervorragend
geschnittene Kleidung achtete und auch ungeheuer viel Geld
dafür ausgab. Joe hatte schon erlebt, daß er ein
Monatsgehalt für ein Jackett bezahlte und dann die
nächsten beiden Monate Sojaburger aß. Angel wartete
darauf, daß Joe zu ihm herüberkam.
»Hola, Herr Anwalt.«
»Was ist los?« fragte Joe leise. Aus der Nähe
sah Angel noch schlimmer aus: Seine Milchkaffeehaut war fleckig,
die Augen waren verquollen.
Aber Angel beschloß, die Frage falsch zu interpretieren.
»Das ist von Jeff Pirelli«, sagte er und hielt ihm
ein dickes, elektronisch versiegeltes Päckchen mit dem
Stempelaufdruck GEHEIM hin. Angel sagte nie >Mister
Pirelli<; er verachtete alle Titel bis auf die ganz
ausgefallenen. Als Präsidentin Caswell Joe einmal unerwartet
angerufen hatte, weil sie Pirelli wegen einer Frage im
Zusammenhang mit der Seuchenkommission nicht erreichen konnte,
hatte Joe den Atem angehalten und halbwegs damit gerechnet,
daß Angel sie mit >Diane< anreden würde. Nun
jedoch hatte Angels scherzhafte Formlosigkeit einen hohlen
Klang.
Joe nahm das Päckchen entgegen. »Was ist los,
Angel? Was ist denn mit Ihnen?«
»Nichts.«
»Sie sehen so aus, und mit Ihnen ist alles in
Ordnung?«
»Nur weil ich für Sie arbeite«, sagte Angel
mit verkniffenen Lippen, »heißt das nicht, daß
Sie das Recht haben, Ihre Nase in meine Angelegenheiten zu
stecken.«
Eine lange Pause entstand. Joe sagte leise: »Tut mir
leid.«
Angel machte eine Geste, die alles mögliche bedeuten
konnte; ein Arm wurde abrupt hochgeworfen und ebenso schnell
wieder fallen gelassen. »Brad Howell möchte, daß
Sie ihn wegen des Spicer-Falls anrufen. Das Gericht hat der
Berufung bei Juddson gegen Maryland stattgegeben
– Sie stehen für nächsten Februar auf der
Terminliste. Und außer dieses ganzen Krams will Jeff
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