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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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gut wie gar keine
Aktivität in Form von neuralem Feuer. Wenn der Betreffende
mit familiären oder routinemäßigen
Aktivitäten befaßt war, wies der Hippocampus ein
niedriges Aktivitätsniveau auf. Aber wenn der Mensch etwas
Neues tat, brannte der Hippocampus sozusagen lichterloh. Dies
alles waren keine neuen Forschungen, soweit Joe verstand, obwohl
einige Seiten voller Gleichungen neue Resultate in bezug auf alte
Konzepte zu repräsentieren schienen.
    Das wirklich Neue war die sorgfältige chemische
Kartierung, wie die Funktion des Hippocampus mit dem cortikalen
und limbischen Gedächtnis interagierte. Anscheinend war es
der mit Neuem befaßte Hippocampus, der das Gehirn
>einschaltete<, um Erinnerungen zu bilden. Wenn das Slow
Virus den Hippocampus veränderte, verlor das Opfer der
Krankheit jegliches Interesse daran, neue Dinge zu tun.
Allmählich wurde das Gedächtnis befallen, so daß
auch neue Aktivitäten, mit denen sich der Kranke
befaßte, dort nicht gespeichert wurden. In den letzten
Stadien schließlich waren Hippocampus und Gedächtnis
in einer einzigen Abfolge von Erinnerungen >erstarrt<, die
immer und ewig wiederholt wurden. Kein neuer Stimulus konnte
dorthin vordringen, außer mit Gewalt, und einen Kranken zu
zwingen, etwas Neues zu tun – wie zum Beispiel, indem man
ihn mit körperlicher Gewalt vom Briefeschreiben wegzerrte,
damit er eine Dusche nahm – erzeugte Panik und Hysterie.
Wenn es überhaupt ging – viele Seuchenopfer
würden unter der Dusche einfach weiterschreiben, ohne Papier
und Stift und bar jeder Erkenntnis, daß es einen neuen
Stimulus wahrzunehmen gab.
    Wenn man sie allein ließ, starben sie natürlich,
weil sie nicht mehr wußten, daß sie essen und trinken
mußten.
    Das Testserum zu synthetisieren würde weder schwer noch
teuer sein, entnahm Joe dem Text schließlich. Das war ein
Durchbruch, vielleicht der erste, den die Kommission je zuwege
gebracht hatte. Die ersten Versuchspersonen würden allesamt
Freiwillige sein, die von den Sicherheitsorganen für
unbedenklich erklärt worden waren. Die Öffentlichkeit
würde erst dann etwas erfahren, wenn ein effektives Programm
stand. Verantwortungslose Gruppen hatten bereits zuviel falsche
Hoffnungen ausgestreut, unter ihnen die verantwortungslosesten
von allen, die Gaisten. »Viren sind ebenfalls Bestandteile
des biologischen Grundmusters. Irgendwann gleicht Gaia alle
Unausgewogenheiten im Grundmuster aus.« Dummes Zeug. Wenn
er bloß daran dachte, konnte er wieder richtig wütend
werden.
    Joe holte seinen Laptop heraus und begann kurze, klare
Zusammenfassungen dessen zu erstellen, was er dem
Dokumentenstapel entnommen hatte. Die Zusammenfassungen
würden es anderen Mitgliedern der Kommission – und der
Regierung – ersparen, sich durch ebensoviel Fachchinesisch
kämpfen zu müssen wie er. Das Wandterminal wäre
natürlich schneller gewesen, aber er hatte nicht mehr
Vertrauen in dessen Sicherheit als Pirelli.
    Nach zwei Stunden Arbeit taten ihm allmählich die Augen
weh. Er stand auf, streckte sich und entschloß sich zu
einem Spaziergang am See. Er sagte sich, daß er das
abendliche Geplätscher der Wellen am Ufer hören und das
feuchte Felsgestein riechen wollte. Davon würde er wieder
einen klaren Kopf bekommen. Aber als er sah, daß Carolines
Tür einen Spaltbreit offen war, hielt er inne.
    Indem er an der Tür vorbeiging, dann kehrtmachte und zu
seinem Zimmer zurückmarschierte, als ob er etwas vergessen
hätte, gelang es ihm, einen raschen Blick hineinzuwerfen.
Caroline war allein. Sie saß ans Bett gelehnt auf dem
Fußboden und hielt ein Stück ihres chinesischen
Porzellans in der Hand. Nur ihr Daumen bewegte sich; immer wieder
strich er zärtlich über das Porzellan. Ihr Blick war
verschwommen und auf nichts Bestimmtes gerichtet. Sie sah aus,
als ob sie in Trance wäre.
    »Caroline?«
    Sie antwortete nicht. Joe stieß die Tür ein
bißchen weiter auf und hob die Stimme.
»Caroline?«
    Sie schaute auf. »Joe.« Der Name klang wie ein
Experiment, als ob sie nicht ganz sicher sei, wer er war. Er kam
ein bißchen weiter ins Zimmer.
    »Sind Sie in Ordnung?«
    »In Ordnung?« Dann wurde ihr Blick mit einemmal
scharf. »Ja, ich bin in Ordnung. Mir geht’s
gut.« Sie machte Anstalten aufzustehen, schwankte ein
bißchen und setzte sich auf die Bettkante. Sie blickte zu
ihm hoch. »Hab ich ausgesehen, als ob mit mir was nicht
stimmen würde oder so?«
    »Sie

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