Schädelrose
schon mit
diesem Heim zu tun.«
»Vielen Dank, aber ich brauche keinen weiteren
Anwalt«, sagte Caroline mit der gleichen kühlen und
distanzierten Höflichkeit. Sie ging mit schnellen Schritten
zum Fahrstuhl.
Joe folgte ihr. »Wer steckt hinter dem
Anschlag?«
»Das weiß ich nicht. Die >Amerikaner für
ein sauberes Land<, nehme ich an.« Sie strebte zu den
Türen des Fahrstuhls, als ob diese sich deshalb eher
öffnen würden.
»Ich komme mit«, sagte Joe so bestimmt wie er
konnte. »Wir haben bereits neun Klagen wegen der
Anschläge gegen sie eingereicht, die sie verübt haben
sollen. Einen hier in Rochester, vor knapp einem Monat.« Er
erinnerte sich an Schwester Margaret und die Verachtung, die sie
ihm entgegengebracht hatte, sowie an die Knochenstücke, die
in der Synthschaumwand eingebettet waren.
Caroline antwortete nicht. Joe beobachtete eine Ader an ihrem
Hals, direkt über dem kragenlosen gelben Hemd, die wie wild
schlug. Er folgte ihr aus dem Institut und in den Luftwagen, der
bereits erschienen war. Hatte sie ihn über das Terminal so
schnell herbeigerufen? Anscheinend. Und überprüfte
niemand die Papiere ihres Fahrers Jason, bevor er diesseits der
Institutstore landen durfte? Anscheinend nicht. Joe dachte erneut
an Angel.
Caroline äußerte sich nicht weiter über seine
Anwesenheit. Sie saß während der ganzen Fahrt nach
Albany reglos da und sagte kein Wort. Joe schaute von ihr zu der
Szenerie unter ihnen hinab. Sie flogen ziemlich hoch für
einen Luftwagen, höher als damals, als sie Porzellan kaufen
gefahren waren. Dieser Wagen mußte spezielle Modifikationen
besitzen. Bisher hatte er nur dreimal in einem Luftwagen gesessen
– alles offizielle Anlässe im Zusammenhang mit der
Seuchenkommission –, und da waren sie in so geringer
Höhe über Washington weggeflogen, daß man die
Gesichter der Leute drunten sehen konnte. Alle drei Wagen hatten
Passagierflugzeugen geähnelt: abwaschbare Sitze in
gedämpften, geschmackvollen Farben, die
großzügiger wirken sollten, als sie waren, und den
Raum maximal ausnutzten. Carolines Wagen hatte eine gepolsterte,
fuchsienrote Sitzbank, einen Klapptisch aus Teakholz, wie Joe
vermutete, und eine Lautsprecheranlage, die sie nicht
einschaltete. War das ihr Wagen? Der von Cadavy? Oder der ihres
Ex-Manns?
Unter ihm schoß das Mohawk Valley vorbei, ein
Flickenteppich aus Feldern und Städtchen, der am leuchtend
silbernen Band des Flusses entlang gefaltet war.
Als sie zwei Drittel der Strecke nach Albany hinter sich
hatten, sagte Caroline leise und in ganz natürlichem Ton:
»Shujen, der älteste Sohn von Tsemo und mir, konnte
das Schriftzeichen für Holz schon malen, als er zwei Jahre
alt war.«
Joe nahm ihre Hand, sagte jedoch nichts. Sie wandte ihm den
Kopf zu und nickte, ohne zu lächeln, dann drehte sie sich
wieder zum Fenster um. Ihr Gesicht war ruhig und gefaßt.
Joe dachte an die neun Klagen gegen die >Amerikaner für
ein sauberes Land<, an das Seuchentestprogramm, das die
Kommission entwickelte, an die Unterlagen zu verschiedenen
Fällen, die Angel ihm gebracht hatte. Er merkte, daß
er sich auf diese Dinge – die Möblierung seines
eigenen Lebens – als Barriere gegen die pure, stille
Intensität von Carolines Schmerz konzentrierte. Aber was
konnte er jetzt schon für sie tun? Nichts. Sich selbst
erfinden, Tag für Tag, hatte er zu ihr gesagt. Indem
man Entscheidungen trifft.
Schade, daß man wie ein derart aufgeblasenes Arschloch
klingen konnte, wenn man die Wahrheit aussprach.
Das Meadows-Heim lag in einem Waldgebiet nördlich von
Albany. Aus der Luft hätte es friedlich und beruhigend
aussehen sollen: lange, flache weiße Gebäude, zu
groß für Wohneinheiten, aber architektonisch zu
interessant für Schlafsäle, durch gewundene Steinpfade
verbunden, die von farbenprächtigen Blumenbeeten
gesäumt waren. Ein japanischer Meditationsgarten lag in
einer kleinen Vertiefung. Enten schwammen in einem blauen Teich.
Die Hälfte eines Gebäudes lag in Trümmern, die
sich wie steinerne Konfetti über den Garten und den Teich
verstreut hatten.
Die geschwärzten Balken des Wohnheims rauchten noch, aber
die Feuerwehr und die Krankenwagen waren schon wieder
weggefahren; sie hatten lange Furchen im Rasen hinterlassen. Ein
Luftwagen der Polizei, klein und schmucklos, war in der Nähe
geparkt. Ein paar Leute standen an den Rändern des Tatorts
– Reporter, vermutete Joe und fragte
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