Schäfers Qualen
wieder … Wie geht’s denn eigentlich mit der schwarzen Witwe … Gut … Sie machen das schon … Wiedersehen.“
Schäfer legte auf und sah auf die Uhr am Display. In einer Stunde musste er bei Hinterholzer sein. Er suchte das Adressbuch seines Telefons durch und drückte die Anruftaste.
„Hallo Mama … Nein, ich bin hier … in Kitzbühel … genau … Noch nicht … Na, weil ich viel zu tun habe … Hätte ich, aber jetzt rufe ich eh an … Sicher, sobald es sich ausgeht … Ich weiß, dass es nicht weit ist … Sobald es sich ausgeht … Servus.“
Als er seine Schuhe anziehen wollte, erinnerte er sich daran, dass er sie am Abend zuvor verloren hatte, und stieg widerwillig in seine verschwitzten Trekkingschuhe. Er ging ins Bad, wickelte gut einen Meter Klopapier ab, befeuchtete es unter dem Wasserhahn und putze sich damit provisorisch die Schuhe. Er ging ins Restaurant hinunter, wo er sich an die Bar setzte und das Menü bestellte, das wahrscheinlich am schnellsten serviert wurde. Rindsgulasch mit Salzkartoffeln – Schäfer aß mit großem Appetit.
Als er die Rechnung beglich, bat er den Kellner, ihm ein Taxi zu rufen, das zwei Minuten später vor dem Restaurant hielt. Schäfer setzte sich auf den Platz neben dem Fahrer und gab ihm Hinterholzers Adresse. Nach etwa zehn Minuten Fahrt hielten sie vor einem kleinen Holzhaus, das gut versteckt hinter hohen Tannen stand. Schäfer ging über einen Kiesweg zur Haustür, die aufging, noch bevor er die Glocke hätte betätigen können. Der Mann, der ihm auf der Schwelle gegenüberstand, war groß, blond, gut aussehend und in Schäfers Alter. Wahrscheinlich handelte es sich um Hinterholzers Sohn, der den Wiener Polizisten davon abhalten sollte, die sicher schon achtzigjährige Kitzbüheler Skischullegende zu sehr aufzuregen. Dem widersprach allerdings die so höfliche wie herzliche Begrüßung, mit der Schäfer empfangen wurde. Der Mann stellte sich als Nils Ekström vor und bat Schäfer herein. Obwohl ihn Ekström davon abhalten wollte, zog Schäfer im Vorraum seine Schuhe aus. Das Haus wirkte so sauber und aufgeräumt, dass ein Paar kürzlich benutzte Bergschuhe sich darin nicht gut gemacht hätten. Ekström ging ins Wohnzimmer voraus, wo Hinterholzer in einem kolossalen ledernen Ohrensessel thronte, der sicher doppelt so alt war wie der Skischulgründer. Er stand auf und ging seinem Gast entgegen. In einer leicht glänzenden, anthrazitfarbenen Schurwollhose, hellblauem Hemd und mit einem bordeauxfarbenen Tuch um den Hals sah er aus wie ein französischer Schlossherr. Schäfer schämte sich sofort seiner unbeschuhten Füße. Hinterholzer war sichtlich bester Laune, begrüßte Schäfer wie einen alten Freund und schüttelte ihm die Hand mit der Kraft eines Holzarbeiters. Währenddessen hatte Nils Ekström von irgendwoher einen Servierwagen gezaubert, auf dem mehrere Flaschen exklusiver Spirituosen standen.
„Ein Whisky, ein Cognac, ein Vogelbeer?“ Schäfer lehnte dankend ab. Ein Glas Wasser wäre völlig ausreichend.
„Ah, im Dienst“, lachte Hinterholzer.
„Nein, gestern sehr lange im Wirtshaus“, erwiderte Schäfer wahrheitsgemäß.
Hinterholzer lachte abermals laut auf und bot seinem Gast einen Platz am Esstisch an, ein kunstvolles Werk aus dunklem Nussholz, das in die riesige Wohnküche hineinragte. Unterlag er einer optischen Täuschung oder wie hatten diese riesigen Räume in einem Haus Platz, das von außen den Eindruck einer Keusche machte?
„Na, dann erzähl mal. Johannes, nicht?“, holte ihn Hinterholzer aus seinen Gedanken.
Schäfer nickte und sagte sich gleichzeitig, dass er sich irgendwie aus der Rolle des viel jüngeren Einheimischen bringen musste. „Sie haben sicher von den beiden Morden gehört …“
„Ja, aber sag Du, ich bin der Ferdinand“, goss sich Hinterholzer einen doppelten Schnaps ein.
„Die beiden Opfer, Simon Steiner und Walter Krassnitzer, haben bei Ihnen … bei dir in der Skischule gearbeitet.“
„Stimmt schon, das muss Mitte der Sechziger gewesen sein, wie der Steiner angefangen hat. Und der Walter ein paar Jahre später. Nils, kannst du uns bitte das alte Skischulbuch bringen, das braune, da sind die alle drinnen, dann wissen wir das genau. Bist schon lange weg jetzt, gell.“
„Ja … mein halbes Leben“, bemühte sich Schäfer um ein Lächeln und war froh, als Ekström mit dem Buch zurückkam – einem dicken ledernen Folianten, der ebenso gut in einer alten Klosterbibliothek hätte stehen können.
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