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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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Mercedes stand, konnte sich keiner verstecken. Aber hinten, bei den Gebrauchten. Er nahm seine Autoschlüssel aus der Hosentasche, öffnete die Tür und drückte auf den Knopf für die Zentralverriegelung. Mit dem Gesicht zum Parkplatz sperrte er die Tür ab, lief zum Auto, stieg ein und verriegelte sofort alle Türen. Seine Hände zitterten. Er musste noch ein paar Minuten warten, bis er den Anlasser betätigen konnte. Vorsichtig fuhr er zur Ausfahrt, schaute zweimal in beide Richtungen und bog in die Bundesstraße ein. Jetzt waren fast dreißig Jahre vergangen. Wieso jetzt noch? Und wer? Gasser beschleunigte und bog nach zwei Kilometern in eine Tankstelle ein. Er stieg aus, ging in den Verkaufsraum und kaufte sich drei Miniflaschen Ballantines.
    „Aber erst, wenn das Auto schlafen gegangen ist“, zwinkerte ihm der Verkäufer zu.
    Gasser blieb eine Antwort schuldig, bezahlte und ging wieder zu seinem Wagen. Er öffnete eine der Flaschen und trank den Whisky in einem Schluck. Dann nahm er sein Mobiltelefon und wählte die Nummer der Auskunft. Weil er nicht daran gedacht hatte, sich einen Zettel bereitzulegen, klemmte er das Telefon zwischen Schulter und Wange und schrieb mit einem Kugelschreiber ein paar Zahlen auf die Innenfläche der linken Hand. Er legte auf und tippte die erhaltene Nummer ein.
    „Grüß Gott, Horst Gasser hier, entschuldigen Sie vielmals, dass ich so spät störe … Ja genau, der Auto-Gasser … Ich würde gern mit Ihnen sprechen … Also wenn es geht, jetzt gleich … Ich weiß, aber es ist wirklich wichtig … Danke … Ja, danke, ich bin in zehn Minuten bei Ihnen, danke.“
    Er beendete das Gespräch, legte das Telefon auf die Mittelkonsole und startete den Wagen. Nachdem er ein paar Minuten in Richtung Stadtzentrum gefahren war, spielte sein Telefon die computerisierte Version von Mozarts „kleiner Nachtmusik“.
    Gasser sah auf das Display: Unbekannter Teilnehmer. Er drückte auf den Empfangsknopf und lauschte. Sekunden später hielt er am Straßenrand und brach in Tränen aus.
    „Bitte, tun Sie ihnen nichts … die können nichts dafür, die wissen doch gar nichts davon“, schluchzte er ins Telefon. „Ja, hab ich, einen Moment.“ Zitternd schloss er sein Telefon an die Freisprechanlage an und bog wieder auf die Straße ein. Er hielt auf einem Parkplatz am westlichen Ende der Stadt. Er solle aussteigen und zum Friedhof gehen, befahl ihm die Stimme. Gasser tat, wie ihm geheißen. Während er die einspurige Straße zum Friedhof hinaufging, überlegte er verzweifelt, wie er sich aus dieser Situation befreien könnte. Sollte er das Mikrofon zuhalten und um Hilfe rufen? Und wenn er einfach zur Polizei ginge? Der andere konnte ihn doch unmöglich sehen. Seine Angst war zu groß; er folgte der Stimme, die ihn jetzt auf einem Umweg ins Stadtzentrum führte, wo er vor dem Eingang der Kirche stehen blieb. Er ging um die Kirche herum und stieg die hölzernen Treppen zu einer Tür hinauf, hinter der sich der Aufgang zum Glockenturm befand. Er öffnete die Tür und stieg die steilen Wendeltreppen empor, bis er in eine kleine Holzstube kam, wo er das Glockenspiel sah, das täglich um elf Uhr vormittags und fünf Uhr nachmittags erklang. Auf dem Boden stand ein Paar Schuhe. Gasser legte das Telefon weg, zog seine eigenen Schuhe aus und die fremden an. Er glaubte sich übergeben zu müssen, so peinigte ihn die Angst; und wie um ihn zu beruhigen, produzierte sein Gehirn plötzlich Erinnerungen an die Schulzeit, wo sie über die Geschichte der Kirchturmglocken unterrichtet worden waren. Der Gussfehler in der einen, weswegen sie von den Innsbruckern nicht genommen und stattdessen nach Kitzbühel gekommen war. Das Einschmelzen der Glocken im Krieg, um Waffen daraus zu bauen. Die große Glocke, die der Ort nach Fürsprache einiger regimenaher Kitzbüheler behalten durfte. Und das Wetterläuten, das die Gewitterwolken auseinandertreiben sollte. Sogar der Name der großen Glocke fiel ihm jetzt ein. Annemarie. Annemarie heiß ich, alle Wetter weiß ich, alle Wetter vertreib ich. Gasser nahm sein Telefon. Sagen Sie ihnen bitte, dass es mir leidtut. Ich liebe sie. Er stieg auf die steinerne Fensterbrüstung, machte zwei Schritte nach vorne und ließ sich fallen.

13
    Als Schäfer aus dem Taxi stieg, hatten sich rund um den Toten bereits zahlreiche Schaulustige versammelt. Aus den Fenstern der Häuserreihen zu beiden Seiten schauten neugierige Anrainer, deren Gesichter durch die rotierenden Blaulichter der

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