Schäfers Qualen
postalkoholische Depression.
„Sepp, leg dich wieder schlafen … ich schulde dir was.“
Wo waren eigentlich seine Zigaretten? In Danningers Auto? Egal. Schäfer stellte sich an die Balkonbrüstung und blickte in Richtung Sonnberg, wo das Dach der riesigen Villa des Wiener Anwalts gut zu sehen war. Eine Amsel begann das Geräusch einer Autoalarmanlage zu imitieren. Über den Grasbergen im Osten würde jeden Moment die Sonne aufgehen. Schäfer war froh über das Ende der Nacht. In seinem Kopf trudelten die Gedanken ein wie aufgeregte Brieftauben in ihren Schlag. Knochen aus einem Keltengrab, nein, diese Möglichkeit musste er ganz einfach ausschließen. Und ein toter Hund? Jeder könnte doch Menschenknochen von Hundeknochen unterscheiden. Auch der versoffene Obernauer, oder? Er müsste das Grundstück umgraben lassen; vielleicht nur eine kleine Fläche, wenn klar wäre, wo Obernauers Schwimmbecken entstehen hätte sollen. Aber wie sollte er Kamp davon überzeugen, dass es hier um eine wichtige Spur ging? Ein anti-anonymer Alkoholiker faselt was von einem Keltengrab, das er gefunden hat, als er mit einer Schaufel eine Grube für einen Swimmingpool aushebt. Und fast zwanzig Jahre später will Major Schäfer das Haus eines Wiener Anwalts verwüsten, weil er der Meinung ist, dass ein nicht einmal bestätigter Knochenfund etwas mit den Morden an drei heimischen Geschäftsleuten zu tun hat. Nach über zehn Jahren bei der Polizei war Schäfer erfahren genug, um zu wissen, dass ihm unter diesen Umständen kein Staatsanwalt die Erlaubnis geben würde, das Grundstück einer unbescholtenen Privatperson zu durchsuchen. Er nahm seinen Computer und erstellte ein neues Dokument, um seine Gedankenflut in eine brauchbare Aufgabenliste zu verwandeln.
Aufschnaiter, Jöchl: alle Verwandten und Bekannten von Obernauer fragen, ob er ihnen etwas von dem Fund erzählt bzw. vielleicht sogar gezeigt hat. Außerdem: Wo genau hat er die Grube für den Pool ausgehoben?
Halder: Grundrisse des alten Hauses und des neuen finden; Internetzugriffe wegen Webcam; Obernauers Waffe!
Baumgartner, Walch: Fotos identifizieren, Strafregister durchgehen, Spurensicherungsergebnisse.
Schäfer: Friedrich und den anderen finden; Obernauer Hans treffen; Bergmann nach Kitzbühel holen; mit Maria sprechen. Neue Schuhe kaufen.
Er speicherte das Dokument, klappte den Laptop zu und ging ins Zimmer. Halb sechs. Er legte sich aufs Bett, schloss die Augen und ermahnte sich, dass er schlafen musste, um für den neuen Tag Kraft zu haben. Doch die Amsel lärmte, seine Gedanken rotierten, die Sonne blendete. Ganz eigennützig beschloss er, Kerstin Unseld zu wecken.
23
Es war ihm doch noch gelungen, eine halbe Stunde zu schlafen. Umso mehr beeilte er sich nun, aufs Revier zu kommen. Um bei der trägen Provinztruppe endlich die Handbremse zu lösen. Nein, er war unfair. Hätte er selbst die Männer im Wirtshaus vorschriftsmäßig befragt, wäre die Geschichte mit Obernauers Keltengrab bestimmt schon früher aufgetaucht. Und seine Schuhe wären ihm nicht gestohlen worden und mit Gasser vom Kirchturm gefallen. Schäfer, du Idiot. So viel Ehrlichkeit musste sein. Er wusch sich die Reste des Rasierschaums aus dem Gesicht, trocknete sich ab und begann sich anzuziehen. Kerstin Unseld saß auf der Bettkante und schaute ihn verschlafen an.
„Guten Morgen, Herr Major.“
„Ebenso, Frau Journalistin“, lächelte er zurück und bückte sich, um ihr einen Kuss zu geben. Er löste sich von ihr, knöpfte sein Hemd zu und griff sich sein Achselholster, das er am Vorabend einfach auf den Boden fallen lassen hatte; wie sein Jackett, das auch dementsprechend aussah. Hoffentlich kam heute sein anderer Anzug aus der Reinigung.
„Tut mir leid, dass ich nicht mit dir frühstücken kann“, sagte er, während er in Gassers Schuhe schlüpfte, „ich hab ein ziemliches Programm heute.“
„Was genau denn?“, fragte sie keck. Fast hätte er ihr von seiner morgendlichen Unterhaltung mit Rohrschacher erzählt. Doch er schaffte es, den Satz zurück in seinen Käfig zu holen, und grinste sie belustigt an.
„Guter Versuch, Frau Unseld. Polizeiarbeit eben. Du erfährst aus den Medien davon.“
Sie gab ihm einen leichten Klaps auf den Oberschenkel und stand auf, um ins Badezimmer zu gehen. Er hörte die Klospülung, kurz darauf die Dusche. Würde er sie wiedersehen wollen? Darüber könnte er sich später Gedanken machen, einstweilen befreite ihn seine Arbeit von solchen Entscheidungen.
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