Schäfers Qualen
hätte.
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Schäfer stand bei der Gepäckausgabe und schaute ungläubig auf das Förderband, das außer einem schrillen Pfeifton nichts hergab. Um ihn herum traten vornehmlich italienische Geschäftsleute von einem Bein aufs andere, murmelten in periodischer Abfolge Flüche in Richtung der Flughafenbediensteten, vertrieben sich die Zeit an ihren Mobiltelefonen oder kneteten Zigarettenschachteln, in der Hoffnung, ihren Nikotinmangel bald ausgleichen zu können. Weil Schäfers Gedanken ihn nach dem Besuch bei von Habermann immer wieder untätig in die Luft starren und folglich den Zug nach München ohne ihn abfahren hatten lassen, hatte er Kern als Chauffeur genommen, der dem Rückreisestau auf der Autobahn nach Schäfers Anraten mit Blaulicht und auf dem Pannenstreifen entging, obwohl ihn diese Aktion teuer zu stehen hätte kommen können.
Am Münchner Flughafen hatte er sich die Wartezeit verkürzt, indem er mit Baumgartner telefonierte und sich von ihrem Gespräch mit Obernauers Sohn erzählen ließ. Sie teilte Schäfers Meinung: Hans Obernauer hatte sich von seiner Vergangenheit weit entfernt, arbeitete erfolgreich als IT-Administrator eines Schweizer Pharmakonzerns und war gerade dabei, mit seiner Frau und ihren beiden Kindern ein Eigentumshaus in einem Vorort von Salzburg zu beziehen. Er hatte sich Baumgartner gegenüber weder abweisend noch besonders auskunftsfreudig gezeigt. Was in seiner ehemaligen Heimatstadt vor sich ging, schien ihm ganz einfach egal zu sein. Außerdem konnte er zumindest für zwei Tatzeiten gesicherte Alibis vorweisen. Baumgartner war enttäuscht bis frustriert, das konnte Schäfer wahrnehmen, ohne sie sehen zu müssen. Er wusste auch, warum: Sie hatte das Pech gehabt, dort zu fischen, wo es bislang nichts zu fangen gab. Und wer auch immer diesen Umstand, der Schäfers Fortschritte von denen seiner Kollegin unterschied, nur in mangelnder Kompetenz, zu wenig Erfahrung oder vielleicht sogar in einer Mann-Frau-Frage begründet sehen mochte, der irrte. Schäfer hatte erstklassige Polizisten versagen sehen; und er hatte erlebt, wie peinliche Kretins Verbrecher fingen, die sich dem Zugriff der Justiz jahrelang entzogen hatten. Zufall? Schicksal? Es gab etwas jenseits des Könnens, das wusste Schäfer. Schließlich konnte er sich seine eigenen Erfolge oft genug selbst nicht erklären; sah sich dann je nach Laune als willenloses Werkzeug oder als Figur mit einmal mehr, einmal weniger Handlungsspielraum. Was seinen Ehrgeiz beizeiten erheblich minderte – auf der anderen Seite aber auch verhinderte, dass er überheblich wurde.
Wie das Gespräch mit Kranz verlaufen sei, wollte Schäfer wissen.
„In etwa so, wie Sie es vorhergesagt haben“, seufzte Baumgartner, „ein Patriarch und sabbernder Chauvinist, der wahrscheinlich nur wegen seiner Ämter und Orden noch nicht auf der Straße ausgeschimpft und angespuckt wird. Eine Farce, dieser Mann: Wenn mir einer schon mit ‚Liebes Fräulein‘ kommt, egal ob ich verheiratet bin oder nicht, dann fingere ich schon am Pfefferspray herum, dieses … Verzeihung … Was die Umwidmung betrifft … da ist laut ihm natürlich alles mit rechten Dingen zugegangen, ich kann mir jederzeit gern die Bescheide durchsehen. Die verstauben in irgendeinem Keller, wenn sie nicht überhaupt zufällig bei einem Wasserrohrbruch oder Zimmerbrand vernichtet worden sind. Und wissen Sie, was dieses Aas getan hat, während ich vor seinem Potenzschreibtisch gesessen habe? Er hat die ganze Zeit an einer Holzfigur herumgespielt, irgendein Dämon oder was weiß ich … und der hat einen riesigen Penis ausgefahren, wenn Kranz den Kopf nach oben gezogen hat. Ich hab ihm gesagt, dass er das bitte unterlassen soll, worauf er mich fragt, ob mich der Anblick …“
Schäfer musste sie unterbrechen, da sein Flug aufgerufen wurde. Während er zum Gate ging, rief er sich den ehemaligen Bürgermeister in Erinnerung. Er hatte Kranz nie so unsympathisch gefunden, wie Baumgartner ihn jetzt geschildert hatte. Ein Mensch, der Macht besitzen will, zweifelsohne. Aber durchaus mit Unterhaltungswert. Traf man ihn nach fünf, war er wegen seiner fast täglichen Trunkenheit so gesprächig wie spendabel und konnte eine Wirtshausrunde mühelos einen Abend lang allein unterhalten. Doch was wusste Schäfer schon von den Menschen, die Kranz erniedrigte, um ihr Recht betrog oder in den Ruin trieb. Und wie sollte er selbst mit diesem Mann umgehen? Denn dass ihm ein Besuch beim Herrn Altbürgermeister nicht
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