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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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wollte. „Ich habe ein Foto gefunden, auf dem Sie, Ihre Eltern und Simon Steiner abgebildet sind. Dürfte beim Skikurs aufgenommen worden sein.“
    „Ja, ich habe das Bild sogar da. Wenn Sie es sehen möchten …“
    „Nein, lassen Sie nur. Worauf ich hinauswill: Es hat früher einmal Gerüchte gegeben über eine Entführung in Ihrer Familie, Sicherheitsbeamte und Leibwächter, die auf dem Grundstück gesehen worden sind … Jetzt stelle ich fest, dass Steiner und die beiden anderen Opfer mit ziemlicher Sicherheit Kontakte zu einem ehemaligen RAF-Terroristen gehabt haben. Und genau in dieser Zeit ist auch der Chef eines österreichischen Textilkonzerns von der RAF entführt worden. Da drängt sich doch der Verdacht auf …“
    „Es ist mehr als ein Verdacht“, unterbrach ihn von Habermann, „und es ist fast schon gespenstisch, dass sich über zwanzig Jahre niemand dieses Themas annimmt, bis ein – verzeihen Sie mir noch mal – absonderlicher Polizist diesen Fall, der offiziell nie einer war, plötzlich aufdeckt.“
    Von Habermann stand sichtlich erregt auf, ging zur Terrassentür, öffnete sie und deutete Schäfer, ihm zu folgen. Sie gingen durch den weitläufigen Garten, bis sie in einen von der Straße aus uneinsehbaren Bereich gelangten, wo eine riesige Trauerweide stand. Von Habermann schob fast liebevoll die bis zum Boden hängenden Zweige beiseite.
    „Hier war unser Lieblingsversteck, von mir und Hanna, meiner Schwester. Natürlich müssen meine Eltern davon gewusst haben, aber zumindest haben sie uns damals im Glauben gelassen, dass wir einfach ohne ihr Wissen verschwinden konnten. Wie Alice im Wunderland.“
    „Woran können Sie sich noch erinnern?“, fragte Schäfer, der glaubte, dass von Habermann einer konkreten Erinnerung und einem möglicherweise damit verbundenen Wiedererleben ausweichen wollte.
    „Kommen Sie mit“, antwortete von Habermann mit einem leisen Seufzer und ging ins Haus zurück, wo er Schäfer in einen Raum führte, der eine Mischung aus Bibliothek, Kapelle und Rumpelkammer darstellte. Verstaubte Kerzenhalter standen auf ledernen und brüchig gewordenen Folianten, leere Weinflaschen mit großen Namen auf den Etiketten füllten ein Terrarium, an der Wand wechselten Ikonen, deren Wert Schäfer nicht einzuschätzen wusste, mit Familienbildern, die ihm durch ihr Alter, die Kleidung der Abgebildeten sowie deren stolzes Posieren vor dem Magnesiumblitz geradezu wie ein Sinnbild für das Selbstbewusstsein bedeutender Adelshäuser erschienen.
    „Ja ja, die Vorfahren“, sagte von Habermann, der Schäfers blick gefolgt war, und räumte eine alte, mit Schellack imprägnierte Kommode frei, indem er ein Bügelbrett, eine Fliegenfischerausrüstung und ein paar alte Holzski zur Seite stellte. Er zog die oberste Schublade der Kommode auf und holte ein in anthrazitfarbenes Leinen gebundenes Buch heraus, das er Schäfer hinhielt.
    „Voilà … ein Fallbeispiel der klassischen Psychoanalyse.“
    „Was ist das?“, fragte Schäfer, ohne sich zu trauen, das Buch aufzuschlagen.
    „Die Aufarbeitung meiner Geschichte, eine Therapie. Quid pro quo, wenn Sie so wollen. Die Entführung wurde von meinen Eltern, aus welchen Gründen auch immer, so gut wie geheim gehalten. Das Lösegeld, damals fünf Millionen Mark, hat mein Vater sofort bezahlt. Die österreichischen Behörden waren in dem Fall meines Wissens gar nicht involviert. Der damalige deutsche Minister für Inneres, mit dem mein Vater natürlich per Du war, hat zwar ein paar Männer der GSG 9 hierher beordert, aber denen waren klarerweise die Hände gebunden. Eine gut ausgebildete Leibwache, die wenig später durch ein privates Sicherheitsteam ersetzt worden ist.“
    Von Habermann stand vor dem Fenster und schaute in den Garten hinaus.
    „Wie passend: es beginnt zu regnen“, meinte er rätselhaft und drehte sich zu Schäfer um, der untätig im Raum stand.
    „Fast sieben Uhr, mein Freund … Sie müssen sich langsam auf den Weg machen.“
    Schäfer ging in die Küche, wo er seinen Rucksack stehen lassen hatte, und packte das Buch ein.
    „Ich werde darauf aufpassen“, versicherte er von Habermann, der ihm zur Haustür vorausging.
    „Da bin ich mir sicher … brauchen Sie einen Schirm?“
    „Ich bin nicht aus Zucker“, antwortete Schäfer lächelnd, unterdrückte seinen Wunsch, von Habermann zu umarmen, und reichte ihm stattdessen die Hand, die dieser, feinfühlig wie er war, länger hielt, als er es bei einem gewöhnlichen Gast getan

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