Schaenderblut - Thriller
sie freundlich an und verließ das Krankenhaus. Auf der Autofahrt nach Hause dachte er noch einmal über seine intensiven Schmerzempfindungen nach und holte sich hektisch einen runter. Als er sich an Joes Begeisterung beim Verschlingen des Fleischstücks aus seinem Allerwertesten erinnerte, wäre er beinahe mit dem Wagen in den Gegenverkehr geraten.
Es hatte ihn schockiert, zu erleben, wie der Mann allein dadurch zum Höhepunkt gelangte, dass er einen fremden Körperteil verspeiste. Er hatte sich nie so geliebt gefühlt wie in jenem Moment, als er sah, welche Wonnen sein Fleisch bei dem großen Kannibalen auslösten. Den Hunger, der in den Augen von Joe aufloderte, nachdem sein Orgasmus abgeklungen war, empfand er als zutiefst beunruhigend und höchst erotisch zugleich. Er wollte ihm mehr von sich geben, wollte sehen, wie die Augen des Raubtiers sich genüsslich verdrehten und sein Körper zuckte, wenn die von Blut und Fleisch ausgelöste Ekstase ausbrach. Ganz offensichtlich hatte Joe mehr von Frank gewollt – viel mehr; vielleicht mehr, als Frank überleben würde. Trotzdem war Frank bereit, das Risiko einzugehen. Er hatte an nichts anderes mehr denken können, seit er panisch aus Joes heruntergekommener Wohnung geflohen war.
Beim Lesen der Kannibalenfantasien im Long-Pig-Forum war die Überzeugung in ihm gereift, dass es sich möglicherweise lohnte, sein Leben für die Erfahrung zu opfern, von einem mächtigen Raubtier verschlungen zu werden und sein Fleisch für immer mit diesem gut aussehenden Mann zu verbinden. Schließlich konnte Frank nicht länger widerstehen und beschloss, seinem Eroberer einen weiteren Besuch abzustatten.
Er hatte mehr als nur ein paar Whiskey Sour intus, als er mutig vor die Eingangstür des verwahrlosten Gebäudes trat und die Klingel des Apartments drückte, das Joe angeblich bewohnte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass überhaupt jemand an so einem Ort lebte, erst recht nicht dieser attraktive und hinreißend gebaute Clark-Kent-Doppelgänger. Aber hier hatten sie sich vor einigen Nächten zu ihrem kleinen Rendezvous getroffen. Er klingelte noch ein paarmal, aber es erfolgte keine Reaktion. Als er gegen die Haustür drückte, schwang sie widerstandslos auf und führte ihn in die staubige alte Eingangshalle. Sie war verlassen und wirkte, als wäre sie es schon immer gewesen.
»Hallo?«, rief Frank leise und hörte nichts als das Echo seiner Stimme in der feuchten und abgestandenen Luft. Das Haus roch wie ein modriger, schimmliger Kellerraum.
Frank schlich vorsichtig hinein und schloss die Tür hinter sich. Die bedrückende Dunkelheit, die über ihn hereinbrach und alles Licht von draußen erstickte, versetzte ihn in leichte Panik. Ohne den Schein der Straßenlaternen herrschte völlige Finsternis. Ein Schauder der Furcht ergriff von ihm Besitz und bescherte ihm eine Gänsehaut, als das alte Gemäuer ihn mit einem einzigen großen Bissen zu verschlingen schien. Schnell zog Frank die Eingangstür wieder auf, um wenigstens ein bisschen Helligkeit hereinzulassen. Trotz des Lichts, das schwach von der Straße hereinkroch, hatte Frank Probleme, sich zu orientieren und den Weg zur Treppe zu finden. Auf gar keinen Fall würde er es riskieren, in den klapprigen alten Fahrstuhl einzusteigen und darin stecken zu bleiben. So, wie diese Bruchbude aussah, konnte es Jahrzehnte dauern, bis ihn jemand fand.
Er wusste noch, welches Apartment Joe ihm als Adresse gegeben hatte, und kraxelte langsam die Treppe hinauf. Der Alkohol, der durch seinen Kreislauf strömte, machte ihn mutiger als sonst – ganz abgesehen davon, dass er sich ebenso sehr nach dem Adrenalinrausch der Angst und des Schmerzes sehnte wie nach einem satten Orgasmus. Trotzdem zuckte er bei jedem Geräusch zusammen, als er die Stufen hinaufschlich und sich der Wohnung im vierten Stock näherte.
»Joe! Joe, bist du da oben?«
Er rief eigentlich nur, um das beruhigende Echo seiner eigenen Stimme zu hören, das einzige vertraute Geräusch in diesem Grab aus quietschenden Tritten und Ratten. Als er die vierte Etage erreichte, begrüßte ihn der widerwärtige Geruch von Urin, Fäkalien und Verwesung. Einmal mehr fragte er sich, ob tatsächlich jemand hier hauste, abgesehen von ein paar streunenden Katzen, einigen Ratten und einen oder zwei Kötern. Er konnte sich lebhaft ausmalen, dass manche von den Hippies, die auf der Haight Street herumlungerten, um Kleingeld bettelten und nach Marihuana und Patschuliöl rochen, in so einer Bude
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