Schängels Schatten
besoffen war. Neben ihm lagen ein paar Königsbacher-Flaschen. Mike schubste ihn mit dem Fuß an. Wenzes hob den Kopf und blinzelte.
Plötzlich hörte Mike, wie draußen vor dem Haus Autos vorfuhren. Schritte waren zu hören. Männer kamen herein. Es waren drei Polizisten in grünen Uniformen, die ihre Waffen zogen.
»Fallen lassen«, rief einer von ihnen.
Mike war starr vor Schreck.
»Nun machen Sie schon!«
Mike begriff, dass er die Pistole immer noch in der Hand hielt – den Lauf zufällig auf Wenzes gerichtet. Der Mann hatte angstvoll die Augen aufgerissen.
»Wassn los?«, krächzte er.
*
Er hat kurz nachgedacht. Kopfschüttelnd deckt er den Kontrabasskasten wieder zu und schließt den Wagen ab. Er muss erst das Gelände überprüfen.
Langsam geht er am Rhein entlang in Richtung Kaiserdenkmal, vorbei an gut gefüllten Lokalen.
Der Kaiser auf dem Pferd ragt vor ihm in die Höhe wie ein Triumphator. Minutenlang bleibt er stehen – Auge in Auge mit der Bronzefigur. Am oberen Rand des Sockels stehen Touristen an der Brüstung. Manche winken, andere haben Ferngläser an den Augen.
Wie weit wird das Standbild entfernt sein?, fragt er sich, als er an der äußersten Spitze angekommen ist. Dreihundert Fuß vielleicht. Zu wenig. Warum hat er daran nicht gedacht?
Er zwingt sich, das Problem logisch anzugehen. Hinter dem Kaiser liegt die Stadt. Wenn es von dort aus geschehen soll, muss er Zugang zu einem Dach haben. Zu schwierig.
Der alte Mann überblickt das Flusstal, dem der bronzene Kaiser entgegensieht. Rechts erhebt sich die Festung. Der alte Mann erwägt, ob es dort einen guten Abschussplatz geben könnte. Wahrscheinlich oben an den
Kasematten. Oder auf dem diagonal verlaufenden Weg am Felsen vorbei.
Auf der linken Seite, am anderen Moselufer, liegt flach hingestreckt ein Campingplatz. Die Zelte und Wohnwagen reichen fast bis an das Wasser heran.
Der alte Mann will sich das genauer ansehen und stapft auf das Denkmal zu, um einen erhöhten Blick zu bekommen. Mit dem Besucherstrom steigt er die vielen Stufen hinauf die in die untere Säulenhalle des Sockels führen. Er sucht innen eine Möglichkeit, noch weiter hinaufzukommen, und findet eine schmale Wendeltreppe. Er wartet den langen Gegenverkehr ab; es staut sich zwischen den Granitsäulen, dann kann er endlich hinauf.
Er drängt sich zwischen die Touristen, die das breite Panorama fotografieren. Ihn interessiert nur der Campingplatz. Weiter hinten, wo die zufließende Mosel schon Rhein geworden ist, wirkt das rechte Ufer etwas verwildert. Davor erstreckt sich so etwas wie ein schmaler Strand.
Der alte Mann dreht sich um und steigt die Stufen hinab.
Er hat die richtige Stelle gefunden.
*
»Alles passt perfekt zusammen«, sagte Hauptkommissar Nickenich, und seine Stimme klang selbstzufrieden. »Das hier« – er wies auf ein transparentes Plastiksäckchen, das Anitas Pistole enthielt – »ist die Tatwaffe. Damit wurde Carola Zerwas erschossen. Und Herrn Hans Michael Wenzes alias Wenzeslaus wollten Sie auch töten. Das wird die Untersuchung garantiert bestätigen.« Der Hauptkommissar ließ sich in einen Stuhl fallen. »Sie hatten die Waffe in der Hand, als wir zum Tatort kamen. Und geschossen haben Sie auch. Die Arbeiter auf dem Grundstück nebenan haben es gehört und uns verständigt. Leugnen ist zwecklos, Herr Engel.« Er legte die Hände auf den Tisch und sah Mike herausfordernd an. »Jetzt fehlt uns nur noch eines – das Motiv. Wir sind ganz Ohr. Legen Sie los.«
»Nein«, sagte Mike mit brüchiger Stimme. »Sie haben doch selbst gesagt, ich hätte den Schuss auf Carola nicht abgegeben. Und außerdem: Fragen Sie doch Wenzes. Der wird Ihnen sagen, dass Anita Hoffmann dahinter steckt.«
Nickenich lächelte gezwungen. »Die große Unbekannte aus der Rheinstraße. Hatten Sie uns die Dame nicht schon bei unserer letzten Zusammenkunft empfohlen?«
Er griff nach einer Akte, die auf dem Tisch lag. »Leider scheint sie nie zu Hause zu sein. Kein Wunder, wenn sie immer wieder auftaucht und Morde begeht, die wir dann Ihnen in die Schuhe schieben …«
»Reden Sie mit Wenzes«, wiederholte Mike.
»Der ist nicht ansprechbar. Aber das wird sich geben. Vorerst nehmen wir mit Ihnen vorlieb. Also?«
Mike saß eine Weile da und betrachtete wieder die rotierende Sparkassenuhr. Sie zeigte kurz vor halb zwei. Er wischte sich nervös den Schweiß aus dem Gesicht. »Herr Nickenich, ich muss Ihnen was anderes erzählen …«
»Ich bin ganz Ohr, wie ich
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