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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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diskutiert. Der Taxifahrer sieht genauso aus wie der, der ihn in Richtung Mayen gebracht hat.
    Das Taxi verschwindet, und der alte Mann fädelt sich in den Verkehr in Richtung Altstadt ein. Nichts übereilen.
    Er hat Zeit.
    Aber nur einen einzigen Schuss.

19
    Mike saß im Wagen auf dem Parkplatz vor dem Hamburgerrestaurant. Auf den Knien hielt er den Stadtplan von Neuwied. Er fand die Hafenstraße, die im 90-Grad-Winkel von der Engerser Landstraße nach Süden abzweigte. Genau in der Ecke war die Heilig-Kreuz-Kirche eingezeichnet. Weiter unten führte die Hafenstraße unter der B 256 durch und traf dann wieder auf eine Kreuzung. Mike kannte diese Stelle ganz genau, denn er war dort schon gewesen. Die kleine weiße Linie, die nach rechts abging, hieß »Im Langendorfer Feld«.
    Mike ließ den Motor an und fuhr los.
    Als er ankam, war die heiße Luft wie bei Mikes erstem Besuch von dem unablässigen Röhren und Mahlen des Betonwerks erfüllt. Mike stieg aus und spürte, wie er Staub einatmete. Über der geteerten Straße, die sich in Richtung der Kiesgruben verlor, flimmerte die Luft. Das Gebäude, in dem Wenzes hauste, lag verlassen da.
    Mike schützte die Augen mit der flachen Hand vor der gleißenden Helligkeit des Mittags und versuchte die Kirche zu erkennen. Zwischen den Einfahrten wuchsen hohe Bäume, die die Sicht versperrten. Erst an dem Betonwerk, wo dicke gelbe Lkw-Sandspuren in Richtung des Getöses abzweigten, wurde der Blick plötzlich frei. Der markante Kirchturm stach deutlich sichtbar aus einer Ansammlung von Dächern in die Höhe.
    Mike holte den Computerausdruck aus der Tasche und verglich die Ansicht auf dem Foto mit der Wirklichkeit. Es stimmte alles überein: Die Kirche erhob sich vor flachen bewaldeten Hängen, die weit hinten am Horizont zu sehen waren und auf dem Computerausdruck nur einen grauen Schatten hinterlassen hatten.
    Auf einem dieser Grundstücke musste das Foto entstanden sein. Natürlich mit viel kleineren Bäumen, vielleicht noch ohne Betonfabrik, ohne die Gebäude, wie sie heute dort standen.
    Wenn hier das Foto gemacht wurde – war dann vielleicht auch das Denkmal hier? Wenn ja – wo?
    Mike versuchte sich vorzustellen, wie viel Platz man brauchte, um so einen Haufen Schrott zu lagern. Sicher war eine riesige Halle nötig; die Gebäude, die es hier gab, durften allesamt zu klein dafür sein. Oder täuschte er sich?
    Mike begutachtete wieder das ausgedruckte Foto und bemühte sich, die kleinen Bäume und die Furchen auf dem Kiesuntergrund in der Wirklichkeit wieder zu finden. Es gelang ihm nicht. In zwanzig Jahren veränderte sich doch eine Menge. Nachdenklich ging er hin und her, suchte immer wieder eine neue Perspektive.
    Irgendetwas stimmte mit dem Bild nicht. Mike hatte die ganze Zeit dieses Gefühl gehabt, aber es war ihm nicht richtig bewusst geworden. Welche Teile auf dem Foto waren eigentlich eindeutig dem Denkmal zuzuordnen?
    Da war vor allem der Kopf des Kaisers. Er lag im Vordergrund und machte dem Betrachter sofort klar, worum es hier eigentlich ging. Der kleine Berg, der sich dahinter erhob, war nur ein Sammelsurium schwer zuzuordnender Einzelteile. Für sich betrachtet, hätte Mike sie sicher nicht mit einem Denkmal in Verbindung gebracht. Mit diesem Denkmal schon gar nicht.
    Rechts und links ragten noch ein paar markante Dinge heraus. So etwas wie ein Pferdehuf, außerdem ein größeres Stück Metall, das der Pferdekopf sein konnte. Schließlich gab es noch einen gezackten Flügel – ein Stück der Genius-Figur.
    Mike zählte, wie viele Teile auf dem Bild eindeutig von dem Denkmal stammten. Er kam auf fünf. Der Rest ging in einer schwarzen Masse unter, die einfach nur namenloser Schrott war.
    Plötzlich wurde ihm klar, was ihn gestört hatte. Der Kaiserkopf besaß nicht die richtige Größe. Im Mittelrhein-Museum hatte er viel kleiner gewirkt …
    Mike ging an dem verbeulten Briefkasten neben der Einfahrt vorbei und erreichte die Haustür neben dem Rolltor. Wie bei seinem ersten Besuch drückte er auf den Klingelknopf. Keine Reaktion.
    Als Mike den Blick senkte, sah er, dass die Tür einen Zentimeter schräg nach innen offen stand. Er drückte dagegen; sie schwang weiter auf. Ein Flur wurde erkennbar.
    Mike blieb stehen. Nein, dachte er. Ich gehe kein zweites Mal in eine Falle. Unwillkürlich machte er ein paar Schritte zurück.
    Neben der Seitenwand des Gebäudes führte eine Durchfahrt nach hinten. Mike folgte ihr auf einen Hinterhof. Der Krach von dem

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