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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Rheinprovinz wollten ihm ein Denkmal setzen. Nach langem Hin und Her wählte man als geeigneten Platz den Zusammenfluss von Rhein und Mosel. Den dreieckigen Vorplatz hat es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben. Dort war eine Untiefe, eine Art Sandbank, die man aufschüttete. So hat man dann den ganzen Ort neu gestaltet und das Denkmal 1897 eingeweiht. Kaiser war jetzt der Sohn. Wilhelm II.«
    »Also gut«, sagte Mike. »So ist es also dazu gekommen. Warum haben sich dann in unserer Schulzeit viele so darüber aufgeregt, als die Idee aufkam, es zu rekonstruieren?«
    »Weil die Leute etwas verwechseln. Dazu müssen Sie aber etwas über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wissen. Zunächst mal: Das Denkmal wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.«
    Mike nickte. »Das weiß ich. Es gibt diese berühmten Fotos, auf denen der Kaiser auf der Seite hängt, weil ihn eine Granate getroffen hat.«
    Dr. Lange nickte. »Auch diese Geschichte ist gar nicht so genau geklärt.«
    »Nicht?«
    »Man weiß, dass das Denkmal am 16. März 1945 von den Amerikanern bei der Einnahme von Koblenz abgeschossen wurde. Man weiß aber nicht, warum das geschah.«
    »Weil eben Krieg war«, wandte Mike ein. »Reicht das nicht? Vielleicht haben sie auch gedacht, es sei eine Hitlerfigur oder so was.«
    »Gar keine schlechte Theorie. Für die Amerikaner war der Kaiser nämlich so eine Art Hitler-Vorläufer. Er war das Symbol für den preußischen Staat und damit für den deutschen Militarismus. Und es könnte natürlich sein, dass irgendein Artillerist dabei war, der das auch so sah. Man weiß, dass die Amerikaner von Süden, also aus dem Hunsrück, und von Westen, also aus der Gegend der Rübenacher Höhe, gegen Koblenz vorrückten.« Dr. Lange grinste. »›Wo gehaue werd, do get et Spähn‹, sagt der Koblenzer. Angeführt wurden die Amerikaner übrigens von dem äußerst motivierten General Patton, der unbedingt nach Cäsar der Erste sein wollte, der in einem Krieg den Rhein überquert. Er hat alles mobilisiert, um dieses Ziel vor den anderen Alliierten zu erreichen. Und er hat es auch geschafft. Der hat es em Greff gehat wie dä Beetelmann die Laus!«
    Dass Dr. Lange Beispiele aus seiner Sprichwortsammlung präsentierte, nervte Mike. Er dachte über die Information auf der Internetseite nach. »Dann lag ich mit den Nazis eben also gar nicht so falsch«, sagte er. »Wenn die Amerikaner das Denkmal so eingeschätzt haben.«
    »Es kann auch sein, dass sie von der Rübenacher Höhe aus die Festung beschossen haben und ihnen dabei das Denkmal einfach im Weg war. Wenn sie es aber gezielt runtergeschossen haben, dann waren sie schlechte Schützen.«
    »Warum das denn?«
    »Weil sie es nicht getroffen haben. Das Denkmal wurde wahrscheinlich nur von einem Geschoss gestreift, sonst wäre da nicht mehr viel übrig geblieben.«
    »Weiß man eigentlich, wer damals geschossen hat?«
    Dr. Lange schüttelte den Kopf. »Den Schützen haben die Militärhistoriker noch nicht ermitteln können. Aber was viel interessanter ist … Die ganze Sache ist natürlich eine Lektion über die Bedeutung von Denkmälern … Ja, das ist es.«
    »Was?«
    »Es ist eine ziemlich oberflächliche Betrachtung. Aber Kaiser Wilhelm ist der Monarch, den man mit dem deutschen Nationalismus in Verbindung bringt. Er war, wie man so sagt, das Symbol für die deutsche Einheit und die deutsche Größe. Einfach ausgedrückt …«
    »Aber haben die Gegner denn dann nicht Recht, wenn sie sagen, man solle sich mit so einem Denkmal nicht identifizieren?«
    »Das ist ja genau der Punkt. Wer identifiziert sich denn? Wenn man ein Denkmal rekonstruiert, kommt man automatisch in die Zwickmühle: Folge ich zwangsläufig dem Geist, unter dem das Denkmal entstanden ist, oder stelle ich einfach nur das historische Stadtbild wieder her? Folge ich dem Geist des absolutistischen Kurfürsten Clemens Wenzeslaus, wenn ich sein Schloss restauriere? Erkläre ich mich dann mit einer absolutistischen Staatsführung einverstanden? Oder erhalte ich einfach nur ein künstlerisch wertvolles Gebäude? Was ist überhaupt ein Denkmal? Muss ich es zerstören, wenn neue Zeiten anbrechen? Die Leute, die verhindern wollten, dass das Denkmal auf den Sockel kommt, hätten konsequenterweise auch verlangen müssen, dass man die ganze Anlage abreißt, die alte Sandbank wieder herstellt und alles so herrichtet, wie es davor war. Wenn man so denkt, kommt man natürlich nicht weiter. ›Wat häit rechdisch es, kann morje

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