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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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»Wir machen unser Wasser selbst«, sagte er und grinste. »Ach, entschuldigen Sie die Unordnung. Es ist ein bisschen drunter und drüber, seit ich hier in einem Junggesellenhaushalt lebe.«
    »Junggesellenhaushalt?«
    »Ja, ich wohne mit meinem Sohn zusammen, wissen Sie. Vor drei Jahren ist meine Frau gestorben, und ich komme allein nicht so gut zurecht. Ich hatte auch einige unangenehme Dinge zu verkraften – gesundheitlich. Das wird sich auch nicht mehr geben.«
    Das war die Erklärung. Nicht Dr. Lange, sondern Jürgen aß die Hamburger. Das passte zu ihm.
    »Ist Ihr Sohn zu Hause?«, fragte Mike.
    »Er arbeitet.« Dr. Lange sah auf seine Armbanduhr. »Aber eigentlich müsste er bald hier sein. Seine Schicht ist gleich zu Ende.«
    »Arbeitet er im Krankenhaus?«
    Dr. Lange hob den Kopf. »Wieso?«
    »Er hat früher immer gesagt, dass er Arzt werden wollte.«
    »Das hat leider nicht geklappt. Zuerst hat er es an der Universität regulär versucht, dann über die Bundeswehr. Die Prüfungen waren aber offenbar nicht so ganz leicht.«
    »Was macht Jürgen denn jetzt?«
    Dr. Lange winkte ab. »Lassen Sie uns von was anderem reden.«
    »Sind Sie noch an der Schule?«
    »Schon lange nicht mehr. Frühpensioniert. Krankheitsbedingt.«
    Mike trank etwas von dem Wasser. Als er das Glas abstellte, bemerkte er Kalkflecken.
    »Und – was ist aus Ihnen geworden?«, wollte Dr. Lange wissen. »Sie haben doch nicht etwa Geschichte studiert? Und sind gar Lehrer geworden?«
    Dr. Lange hatte offenbar ein schlechtes Gedächtnis. Mike war in Geschichte grundsätzlich an einer Fünf entlanggeschrammt und hatte, wie man ihm oft bescheinigte, sehr, sehr wenig Interesse gezeigt. Letztendlich war er ja auch deshalb hier. »Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Mike.
    Der alte Lehrer lächelte. Wie er so dasaß, erinnerte er Mike an einen indischen Weisen.
    »Na, ich dachte, wenn Sie sich doch jetzt für die Koblenzer Stadtgeschichte interessieren. Wer kümmert sich schon darum und ruft auch noch seinen alten Lehrer an?« Man konnte seinem strahlenden Gesicht ansehen, dass er das für ein kleines Wunder hielt. »Kaum jemand lässt von sich hören, wissen Sie.«
    »Sie werden es nicht glauben«, sagte Mike. »Aber ich bin Musiker.«
    Dr. Lange riss die Augen auf. »Tatsächlich? Pianist?«
    Mike nickte und fühlte fast ein wenig Stolz. Er musste Dr. Lange ja nicht auf die Nase binden, dass er nur in einem Hotel spielte.
    »Wo treten Sie denn auf? Haben Sie schon mal in der Rhein-Mosel-Halle gespielt?« Dr. Lange legte Mike die Hand auf die Schulter. »Sie müssen etwas spielen, kommen Sie. Es ist sowieso besser, wir verlegen das Gespräch nach oben. Ich habe dort mein kleines Reich.«
    Sie gingen eine Treppe hinauf. Dr. Lange öffnete die Tür zu einem winzigen Zimmerchen, das dermaßen mit Regalen, Tischen und allem möglichen Papierkram voll gestopft war, dass man sich kaum umdrehen konnte. An der Längsseite war in all der Enge ein Klavier untergebracht, das jedoch ebenfalls als Ablage diente. Das einzige Fenster wurde von weiteren Stapeln dicker Bände fast vollständig verdeckt. Mike las die großen Lettern auf den Rücken und erkannte Notenausgaben. Klaviermusik von Mozart, Beethoven, Chopin und Liszt.
    »Leider kann ich selbst kaum noch spielen«, sagte Dr. Lange schwer seufzend und nahm einen riesigen Stapel Papier vom Klavierhocker. Mike fragte sich, an welcher Krankheit er wohl litt. »Setzen Sie sich am besten gleich hierhin.« Auch die Klappe über der Tastatur war mit Büchern und Papierkram überhäuft. Dr. Lange musste erst umständlich Platz machen.
    Mikes Blick fiel auf einen Manuskriptstoß. Das oberste Blatt trug den Titel »Koblenzer Sprichwörter, gesammelt von Dr. Erwin Lange«.
    »Was ist das denn?«, fragte er.
    »Ein Projekt, an dem ich gerade arbeite«, sagte der Lehrer, ohne das Aufräumen zu unterbrechen. »Es soll ein Beitrag zur Erforschung der Koblenzer Mundart werden, wissen Sie. Und als Buch erscheinen.«
    Dr. Lange schob an einem schmalen Schreibtisch eine Schreibmaschine nach hinten und brachte den Papierkram schwer atmend auf dem frei gewordenen Platz unter. Dann ließ er sich auf den Bürostuhl fallen.
    »Die Koblenzer Mundart ist was Interessantes«, sagte er, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Wussten Sie zum Beispiel, dass bestimmte Wörter schon in der Koblenzer Altstadt anders ausgesprochen werden als in den Vororten?«
    Mike zuckte mit den Schultern. So

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