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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Mund zu haben. Damals hatte er genauso gegrinst wie jetzt.
    »Wen haben wir denn da?«, fragte er. Mike fiel auf, dass er merkwürdige Kleidung trug. Ein klein kariertes Hemd in Gelb und Blau. Irgendwo hatte er so was schon mal gesehen.
    »Das ist Herr Michael Engel«, sagte Dr. Lange leise.
    »Ich weiß, wer das ist! Der gute alte Mike. Na, wie geht’s denn so, Kleiner? Wie stehn die Aktien?«
    Auch das mit dem »Kleiner« hatte es früher schon gegeben. Dabei war Jürgen, wie Mike sich erinnerte, nur ein halbes Jahr älter.
    »Er hat mich nur kurz besucht«, sagte Dr. Lange, und es klang, als würde er sich bei seinem Sohn entschuldigen.
    »Was ist mit der Wäsche, Alter?«, fragte Jürgen plötzlich.
    Mike glaubte erst, sich verhört zu haben.
    »Ich habe es nicht geschafft«, murmelte Dr. Lange.
    »Was soll das denn heißen?«, brüllte Jürgen. »Ich arbeite mir hier den Rücken krumm, und der Herr Vater, der nichts zu tun hat, kann sich noch nicht mal um den Haushalt kümmern.«
    »Ich mach’s nachher.«
    »Nachher, nachher! Nachher will ich im Wohnzimmer fernsehen, und vielleicht kommt die Monika noch, und da unten sieht’s aus wie Hund. Los ran jetzt hier. Ab mit dem Zeug in die Waschmaschine, bügeln kannst du dann später hier oben!« Jürgen drehte sich um und stürmte die Treppe hinunter.
    Monika, dachte Mike. Ob etwa …
    Dr. Lange erhob sich wie ein geprügelter Hund und vermied es, Mike in die Augen zu schauen. »Ach, er hat sicher was zum Abendessen mitgebracht. Vielleicht möchten Sie ja noch bleiben …«
    »Ich will Ihnen auf keinen Fall zur Last fallen. Ich habe heute Abend sowieso noch was vor«, log Mike. »Vielen Dank, Sie haben mir wirklich sehr geholfen.«
    Sie gingen hinunter. Im Wohnzimmer hatte sich Jürgen ins Sofa gefläzt und die störende Wäsche einfach zu einem Haufen zusammengeschoben. Er glotzte auf den Fernseher, wo ein Musikvideo lief. Mit beiden Händen hielt er einen Hamburger. Jetzt fiel Mike ein, was das für eine Kluft war, die er trug. Jürgen, der einst verheißungsvolle junge Arztaspirant, arbeitete bei McDonald’s.
     
    Die Luft war angenehm mild, die Hitze hatte nachgelassen. Langsam wanderte Mike durch die Gässchen zwischen den Schuhschachtelhäusern zum Wagen zurück.
    Es musste so abgelaufen sein: Carola kam nach Koblenz, nachdem sie ihren Mann verlassen hatte. Hier suchte sie sich ein Thema, um journalistisch wieder anzufangen. Sie beschäftigte sich mit den Dingen, die sich in Koblenz verändert hatten, und kam dadurch auch auf das Kaiserdenkmal. Sie stellte fest, dass es bald das zehnjährige Jubiläum des neuen Kaiserstandbildes gab, beschloss, daraus etwas zu machen, und forschte im Internet nach. Vielleicht wollte sie wissen, was man im Ausland über das Deutsche Eck dachte, und dabei musste sie die Internetseite von Richard Nair gefunden haben. Und war über das Foto auf Wilfried Ramann gekommen. Im Artikel der Rhein-Zeitung hatten zwar nur der Vorname und das Kürzel R. gestanden, als es um das Mordopfer ging. Aber die ganze Stadt hatte offenbar gewusst, wie der Name lautete, warum also nicht auch Carola. Wie mochte sie gestaunt haben, als sie herausfand, dass just dieser Ramann damals an der Gülser Brücke ermordet worden war. Sie hatte mit der Mutter des toten Unteroffiziers Kontakt aufgenommen, und …
    Ja – und was dann? Das konnte doch nicht alles gewesen sein!
    Mike war in Gedanken vom Weg abgewichen und an die Stelle gelangt, wo der Burgweg nach der Strecke durch die Felder und an dem alten Geheimplatz vorbei auf der Karthause ankam.
    Wie er schon von Güls aus gesehen hatte, war von den Feldern nichts mehr da. Alles war mit Einfamilienhäusern zugebaut. Eigenheime mit guter Aussicht über das Moseltal. Beste Lage.
    Der Weg, der früher ein wilder Trampelpfad gewesen war, auf dem man nach Regenfällen im Schlamm ausrutschen und im Winter bei Schnee eine Rodelpartie auf dem Schulranzen hinlegen konnte, war ordentlich mit gelbem Kies bestreut. Mehr was für alte Leute, dachte Mike. Nichts für abenteuerlustige Jugendliche.
    Nur die Talseite war unberührt. Das Gestrüpp gab es noch. Mike wanderte ein Stück hinunter und suchte die dornigen Hecken ab. Er wurde fündig. Er duckte sich, durchquerte eine dichte Wand von Büschen. Dornen rissen an seinem Anzug. Weiter hinten lichtete sich das Gebüsch am Ende eines Tunnels aus Zweigen und führte zu der Felsnase, die wie ein kleiner Balkon in das Moseltal hinausragte.
    Mike hatte vergessen, wie

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