Schängels Schatten
sah die Brücken, ein vorbeistampfendes Schiff und Menschenströme unten auf der Uferstraße.
Der Saal war alten Koblenzer Stadtansichten gewidmet – meist aus der Sicht von den Flussufern her, die noch nichts von Bundesstraßen und Bahnlinien wussten. In der Mitte stand ein Tisch, der etwa die Größe einer Tischtennisplatte hatte. Darauf war ein Modell der Stadt aufgebaut. Das sei die Ansicht von Koblenz von 1750, erklärte eine Tafel. Eine kleine Ansammlung von Spielzeughäusern im Flussdreieck – penibel von einer gerade gezogenen Stadtmauer begrenzt. Wo sich heute das Deutsche Eck befand, war ein weißer Fleck. Eine Sandbank. Die Untiefe, von der Dr. Lange gesprochen hatte.
»Dort«, sagte Anita und ging zu einem kleinen, von Scheiben eingegrenzten Lichthof. Der Kaiserkopf ruhte zwischen blühenden Büschen. Die metallenen Augen blickten starr geradeaus.
Er wirkte nicht wirklich gewaltig. Man hätte den Kopf auf eine Schubkarre laden können.
»Das Ende eines Herrschers«, sagte Mike.
»Ja. Hier hat er gewissermaßen sein Exil gefunden. Und der Rest wahrscheinlich anderswo.«
Als sie draußen waren, setzte Anita wieder ihre Sonnenbrille auf. »Und nun?«
»Wie besprochen«, sagte Mike. »Fahren wir zum Burgweg.«
*
Der alte Mann wacht auf, als ihn jemand an der Schulter packt und heftig rüttelt. Wo ist er überhaupt? Nach und nach erkennt er die Szenerie um sich herum. Er ist auf dem Bahnhof. Er muss eingeschlafen sein. Der lange Flug …
Vor sich sieht er zwei Uniformierte. Einer davon hält immer noch seine Schulter fest. Der alte Mann macht sich los. Er sagt, dass er in Ruhe gelassen werden will.
Der eine Uniformierte sagt etwas, das der alte Mann nicht versteht. Auch nicht, als der Uniformierte wiederholt, was er will. Der alte Mann lässt eine Bemerkung fallen, und der Uniformierte wechselt ein paar Worte mit seinem Kollegen. Reisende gehen vorbei und schauen neugierig herüber.
Jetzt spricht der andere Uniformierte. Der alte Mann nimmt zur Kenntnis, dass er seine Sprache spricht. Nicht besonders gut zwar, aber immerhin so verständlich, dass der alte Mann nun weiß, was sie von ihm wollen. Die Papiere. Darauf hätte er auch selbst kommen können.
Während der alte Mann seinen Pass hervorkramt, hofft er, dass sie nicht sein Gepäck durchsuchen. Sollten sie auf das Geld stoßen, würde er einiges zu erklären haben.
Endlich hat er den Pass gefunden. Der eine Uniformierte prüft ihn. Der andere fragt, wohin er fahren will.
Der alte Mann kann es belegen. Er hat eine Bahnfahrkarte gekauft. Auch die lassen sich die beiden zeigen.
Dann geben sie ihm seine Sachen zurück und wünschen eine gute Reise. Er soll beachten, dass sein Zug in elf Minuten geht.
Einen schönen Tag noch.
9
»Der Kopf ist auf dem Foto eindeutig zu erkennen«, sagte Anita.
Die Tasche auf dem Schoß, saß sie auf dem Beifahrersitz, während Mike den Peugeot die Schlachthofstraße entlanglenkte. »Vielleicht kommt man der Lösung näher, wenn man herausfindet, wo das Bild aufgenommen wurde.«
»Nach zwanzig Jahren? Das ist ein Schrottplatz oder so was. Wie soll man den denn wieder finden?«
»Zumindest kennen wir den Zusammenhang. Ramann hat seinem Vater in Amerika das Bild geschickt, weil der sich dafür interessierte. Weil er Soldat in Koblenz war. Ob das überhaupt stimmt?«
Die Ampel vor der Auffahrt zur Kurt-Schumacher-Brücke sprang auf Rot. Mike trat auf die Bremse. »Kann doch sein.«
Anita fuhr mit dem Finger über die Seiten. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen Nair zu kontaktieren.«
»Das habe ich schon getan. Ich habe ihm eine Mail geschickt. Vielleicht hat er mir ja schon geantwortet.«
Anita kramte in ihrer Tasche und brachte ein Handy zum Vorschein. »Willst du es nachprüfen?«
»Wenn wir da sind.«
Sie parkten den Wagen ganz unten am Burgweg; dort, wo der Unterbreitweg abbog und zwischen der Bahnlinie und Obstgrundstücken in Richtung Moselweißer Bahnhof verschwand.
»Das ist unauffälliger«, sagte Anita.
Mike schloss den Wagen ab. Sie kam um den Peugeot herum und hielt ihm das Handy hin.
»Ich weiß die Hotelnummer nicht«, sagte Mike.
»Ruf die Auskunft an.«
Mike tat es und hatte schließlich die Rezeption des Mercure am Hörer. Es dauerte eine Weile, bis sie überprüft hatten, ob etwas für Mike gekommen war. Dann war klar: kein Anruf, keine Nachricht. Mike fragte nach einer E-Mail. Wieder wurde überprüft. Fehlanzeige. Mike gab Anita das Handy zurück.
»Also los«,
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