Schärfentiefe
unser Institut durch ihre plötzliche Kündigung so überrumpelt hat.“
Znan begann hektisch in den Regalen zu suchen, drückte Paula verschiedene Bücher und Broschüren in die Hand, überschüttete sie mit ausführlichen Informationen zum Wesen und Werk Stefan Urbans und sparte auch nicht mit weitschweifigen Ausführungen über das Institut. Aber trotz des immer höher werdenden Stapels in ihren Händen, konnte Paula ihre Gedanken nicht von dem lösen, was der Znan herausgerutscht und ganz offensichtlich unangenehm war. Über Gerlinde Wagner würde sie hier nichts mehr erfahren, über Urban und das Institut hatte sie ausreichende, wenngleich oberflächliche Informationen erhalten. Es war Zeit zu gehen. Sie griff nach dem Jahrbuch.
„Das können Sie nicht mitnehmen. Das ist mein letztes Exemplar.“ Znan wollte das Buch wieder an sich nehmen, aberPaula war schneller, blätterte rasch die ersten Seiten auf und entdeckte, was sie wissen wollte: Die Firma AT Grafix hatte das Druckwerk für das Institut hergestellt. Mit einem Lächeln reichte sie der Frau Doktor den Jubiläumsband. Diese riss ihr das Buch förmlich aus der Hand und warf ihr einen bösen Blick zu.
„Herzlichen Dank für Ihre freundliche Unterstützung. Sobald ich mit dem Kapitel über das Institut beginne, werde ich mich nochmals bei Ihnen melden“, versprach Paula, wobei sie nicht im Entferntesten daran dachte, ein solches Kapitel in die Biografie einzuarbeiten.
Doch Doktor Znans Gesichtszüge hellten sich sofort wieder auf.
„Sie sind herzlich willkommen. Bitte wenden Sie sich jederzeit an mich, wenn Sie Fragen zum Institut haben. Wenn Sie möchten, können Sie auch einige Lehrveranstaltungen als Gast besuchen“, schlug sie vor.
„Auf das freundliche Angebot komme ich bestimmt gerne zurück“, schleimte Paula‚ aber sicher nicht mehr in diesem Leben, ergänzte sie für sich.
4.
Es war noch kälter geworden, als Paula das Institut verließ, aber das machte ihr nichts aus. Im Gegenteil: Sie atmete die frische Luft tief ein und genoss den Spaziergang durch die verschneiten Gassen. Die Schneeräumer waren hier noch nicht im Einsatz gewesen, nur einige Spuren von Autoreifen zeichneten Muster in die gleichmäßig weiße Fläche. Der Straßenlärm klang dumpf und weit entfernt.
Sie wählte Adas Handynummer, aber es meldete sich nur die Mailbox. Egal, morgen konnte sie selbst noch Recherchen anstellen. Vor allem würde sie die Firma AT Grafix kontaktieren, die den Jubiläumsband erstellt hatte. Sie wollte unbedingt das Foto von Gerlinde Wagner haben. Vielleicht gelang es ihr damit, sie zu finden und mit ihr ein Gespräch zu führen. Paula war sich sicher, dass Gerlinde Wagner nicht grundlos von einem Tag auf den anderen das Institut verlassen hatte, und genau dieser Grund interessierte sie mittlerweile brennend.
Schon von der Straße aus konnte Paula sehen, dass sich jemand in ihrer Wohnung aufhielt. Es war unwahrscheinlich, dass es Kurt war, weil er heute bis spätabends in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeitete. Also konnte es nur ihre Freundin Clea sein. Das war ihr im Augenblick sehr recht. Sie hatte viel zu erzählen. Über Markus, ihre Eindrücke von Frau Doktor Znan. Es half ihr, Clea Dinge zu erzählen, die sie bewegten. Oft ergaben sich erst dadurch, dass Gedanken in Worte gefasst wurden, überraschende Gesichtspunkte oder Fragen, durch die eine Situation neu überdacht werden musste.
Clea lungerte auf der Wohnzimmercouch und las. Es musste gerade sehr spannend sein, denn sie winkte Paula nur wortlos zu, ohne ihre Lektüre zu unterbrechen.
Clea hatte die Gabe, völlig in einer Sache versinken zu können und dabei glücklich zu sein. „Flow“ nannte sie das, nach dem Kommunikationsguru Czikszentmihalyi. Sie hatte im letzten Jahr alle fehlenden Prüfungen für ihren Studienabschluss in Informatik nachgeholt, arbeitete nun mit Begeisterung an ihrer Diplomarbeit „Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation im Web“ und so wie Kurt verbrachte auch sie die meiste Zeit mit dicht beschriebenen Wälzern.
Paula setzte sich zu Clea und goss sich Tee ein. Er musste schon eine ganze Weile auf dem Stövchen gestanden sein, denn er war dunkel und bitter. Clea legte ein Lesezeichen ein und sah sie erwartungsvoll an.
„So nachdenklich? Was war los?“
Paula gab ihr eine Kurzzusammenfassung von ihrer Beziehung zu Markus und erzählte ihr vom Besuch im Institut, der unsympathischen Frau Doktor Znan und dem Versprecher, der ihr noch immer zu
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