Schärfentiefe
denken gab.
„Glaubst du nicht, dass du da zu viel hineininterpretierst?“ Paula war nicht klar, worauf sich Cleas Frage bezog. „Ich meine, es kann schnell passieren, dass man sich verspricht. Andererseits …“, sie blickte Paula aufmerksam an: „… andererseits hast du meist ein gutes Bauchgefühl. Nur verrenn dich da nicht in etwas.“
Aha, Clea meinte die Znan.
„Und was meinst du zu Markus?“
„Hm. Was soll ich meinen? Du kennst meine Einstellung zu Beziehungen. Genieße es, solange die Chemie stimmt, fühl dich wohl, und es wird sich zeigen, wie es weitergeht.“
Das war wieder einmal typisch Clea. Anders als Paula, die von einem Moment zum anderen auf Wolken schweben konnte oder tief im schwarzen Loch saß, die ihr Hirn regelmäßig mit manchmal nötigen, aber oft auch unnötigen Gedanken in der Art „Was wäre wenn …“ malträtierte und sichsicherheitshalber schon vorab alle Möglichkeiten ausmalte, um dann im Fall des meist nicht eintretenden Falles doch auf keine geeignete Strategie zurückgreifen zu können, stand Clea mit beiden Beinen auf der Erde. Sie hatte zu allem und jedem ihre unerschütterliche Meinung, und seit Paula sie kannte – und das war immerhin mehr als ein Jahrzehnt – konnte sie sich nicht erinnern, sie jemals von Selbstzweifeln gequält gesehen zu haben. Nicht, dass Paula ein unsicheres Mäuschen gewesen wäre, aber so felsenfest wie Clea war sie nie von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt. Immer versuchte sie, alle Möglichkeiten auszuloten, den besten Weg zu finden, und das war oft ganz schön mühsam. Ihre Mutter meinte, ihr Sternzeichen sei schuld, weil Waage-Menschen angeblich dazu neigten, alles abzuwägen. Aber diese Erklärung war Paula denn doch zu platt. Clea war Stier und schwamm auch nicht im Geld, wie das die Sterne für die Vertreter dieses Zeichens vorgesehen hatten. Wie auch immer, es war schön, sie als Freundin zu haben.
Vier
1.
Paula erwachte am nächsten Morgen wie gerädert. Sie hatte unruhig geschlafen, ein Traum hatte sie gequält, doch sie konnte sich nicht an ihn erinnern. Draußen hörte sie Kurt rumoren. Das Beste war das Knattern der verkalkten Kaffeemaschine, die dem Geräusch nach ausreichend von jener aufputschenden Flüssigkeit produzierte, die Paula im Moment dringend nötig hatte.
Sie schlurfte in die Küche und holte sich eine große Tasse Kaffee. Kurt war im Bad und das war gut so. Sie hatte heute keine Lust auf ein Morgenpalaver mit ihm. Beim Blick aus dem Küchenfenster präsentierte sich die Stadt grau in grau. Die Straßen waren mittlerweile frei geschaufelt und nur noch von braunem Matsch bedeckt. Die romantische Neuschneenacht war dahin.
Paula ging zurück in ihr Zimmer und suchte im Internet die Daten von AT Grafix heraus. Sie wählte die Nummer, aber wie erwartet, meldete sich noch niemand. Kurz nach acht rief Ada an. Sie klang müde, wartete aber mit guten Neuigkeiten auf. Sie hatte die Nachlassverwalterin angerufen und von ihr die Genehmigung erhalten, in die Wohnung von Urban zu gehen.
„Mittwoch ist in Ordnung“, sagte Paula und musste nicht einmal einen Blick auf ihren Terminkalender werfen.
„Gut. Dann hängen wir gleich ein gemütliches Abendessen an, auf Kosten von Santo – Projektbesprechung sozusagen. Hast du etwas Neues herausgefunden?“
Paula erzählte ihr in groben Zügen vom Besuch im Institut für künstlerische Fotografie.
„Klingt irgendwie eigenartig …“, stimmte Ada zu, um dann aber sofort wieder zu relativieren: „… aber vielleicht hat es diese Gerlinde Wagner einfach nur angeödet, weiter mit Urban zu arbeiten. Verrenn dich nicht in irgendwelche Recherchen, die uns nichts bringen. Du kennst ja Santo. Der will nur eine hübsche Biografie, die er gut verkaufen kann.“
Kaum hatte Paula aufgelegt, läutete das Telefon schon wieder.
„Guten Tag. Sie haben bei uns angerufen?“, säuselte eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.
„Wer ist uns?“, fragte Paula etwas irritiert.
„Hier ist AT Grafix. Ihre Nummer war auf unserem Display. Was kann ich für Sie tun?“
Vergiss Gerlinde Wagner, rügte sich Paula. Aber die Neugier war stärker, und wenn sie schon so freundlich gefragt wurde …
„Ich habe gestern einen Jubiläumsband gesehen, den Sie im Vorjahr für das Institut für künstlerische Fotografie erstellt haben. Können Sie mir noch einen zukommen lassen?“
„Tut mir leid, da muss ich mich erst beim zuständigen Team erkundigen. Soweit ich weiß, haben wir
Weitere Kostenlose Bücher