Schärfentiefe
endete nach knapp einer Stunde, die Besucher applaudierten frenetisch. Anschließend begaben sie sich in denNebenraum, in dem Wein und Snacks aufgewartet wurden. Gerade als Paula zu der Frau gehen wollte, die am anderen Ende des Raums mit einigen Leuten beisammenstand, kam ein Mann auf sie zu und umarmte Markus herzlich.
„Na, wie hat es euch gefallen?“
Für Paula war das Stück eine einzige Tortur gewesen.
„Das war eine hochinteressante Leistung, die ihr da vollbracht habt“, hörte sie Markus sagen. Was für schöne, unverbindliche, was für nichtssagende und doch so perfekte Worte, die er da gefunden hatte.
„Ja, in der Tat eine sehr interessante Leistung“, stimmte Paula zu und spähte über seine Schulter. Sie wollte die Frau nicht verpassen.
„Wie seid ihr auf die Idee zu diesem Stück gekommen?“, hörte sie Markus fragen. Trotz aller Ungeduld interessierte auch sie die Antwort. Dieser Einakter konnte wohl nur in einer eingerauchten Runde entstanden sein.
„Kommt mit, ich möchte euch die anderen Schauspieler vorstellen.“ Gerald, wie der junge Mann hieß, war offensichtlich von Markus und Paula begeistert. Paula ging nur widerwillig mit. Die Frau war nirgends mehr zu sehen.
„Entschuldigung, aber wo ist die Toilette?“, unterbrach sie die philosophische Unterhaltung der Künstler.
Rasch drängelte sie sich durch die Personen, die rund um das Buffet standen. Aber die Frau, die möglicherweise Gerlinde Wagner gewesen war, hatte die Veranstaltung wohl schon verlassen. Enttäuscht kehrte Paula zu den Künstlern zurück und hörte sich ihre für sie langweiligen Ausführungen an.
„Du warst großartig“, sagte Markus, als sie sich auf den Heimweg machten.
„Danke“, erwiderte sie geschmeichelt. „Apropos: Worüber wirst du in deinem Artikel schreiben?“, fragte sie. „Worum ging es eigentlich in dem Stück?“
Markus lachte. „Keine Ahnung, ich bin nicht dahintergekommen.“ Sie bummelten durch den Rathauspark. Hier hatte niemand den Schnee zusammengekehrt und eine weiße Schicht bedeckte den Rasen. Gerade hatte es wieder zu schneien begonnen und die Flocken tanzten immer wilder vor ihren Augen.
„Hm, also das war eine hochinteressante Leistung, die ihr da vollbracht habt“, kicherte Paula und begann ihn mit Schnee zu bewerfen, was er sich nicht ohne Widerstand gefallen ließ. Der wilden Schlacht folgte eine Umarmung. Eng umschlungen schlenderten sie zu Paulas Wohnung. Gerlinde Wagner war für die nächsten Stunden ebenso vergessen wie Stefan Urban, zu dessen Tod ihr Markus noch etwas erzählen wollte. Und als es ihr endlich wieder einfiel, war es zu spät. Da war Markus bereits nach Hause gefahren. Er hatte am Wochenende Journaldienst und wollte noch einige Stunden schlafen, was ihm neben Paula nicht gelungen wäre.
Fünf
Als Clea gegen neun Uhr vorbeikam, fand sie Paula glücklich grinsend vor, und es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als sich die Neuigkeiten anzuhören. In dieser Hochstimmung eröffnete ihr Paula, dass sie soeben beschlossen habe, am Wochenende Küche und Vorraum frisch auszumalen. Sie war nach der letzten Nacht in der Stimmung, die Welt zu verändern, und wollte damit im Vorzimmer anfangen. Also fuhren sie mit Cleas Auto in den nächsten Baumarkt und besorgten die notwendigen Materialien. Dann musste Clea zu einem Mittagessen und ließ Paula mit ihrem Verschönerungswahn allein. Voller Energie begann sie, die Möbel aus dem Vorzimmer abzumontieren, die Küche so gut es ging auszuräumen und die alten Löcher und Unebenheiten zu kitten.
Erst gegen neun Uhr abends war es ihr endlich gelungen, die Wände und die Zimmerdecke einmal weiß zu streichen. Als sie sich erschöpft auf einen Küchenstuhl fallen ließ und nach oben schaute, sah sie, wie sich die Farbe im Zeitlupentempo abzulösen begann. Wenig später fiel ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Decke auf den Kopf. Mehr brauchte Paula nicht. Die positiven Energien der letzten Nacht waren dahin, sie war hungrig, müde und wütend. In dem Moment, als sie einen wilden Schrei ausstieß, wurde die Tür aufgesperrt. Kurt stand da, etwas irritiert betrachtete er das Chaos, das sich ihm bot, und Paula, die zornig mitten in der Küche stand mit feuchten Wandstücken auf Haaren, Schultern und Kleidung.
„Ich dachte, du bist nach Hause gefahren?“, fragte Paula.
„War ich ja auch. Aber ein Tag mit den lieben Anverwandten hat mir gereicht. Und so wie ich das sehe, war es gut, dass ich früher
Weitere Kostenlose Bücher