Schärfentiefe
von selbst laufen würde? Auch wenn die Frage blieb, wann das endlich sein würde. Sie ging in die Küche und begutachtete den Inhalt der Tiefkühltruhe. Über zwanzig Portionen hatte ihre Mutter mitgebracht. Jeder einzelne Plastikbehälter ordentlich beschriftet: Paprikahuhn mit Nockerln, Chili con Carne, Lasagne, faschierte Laibchen,Putengeschnetzeltes, Semmelknödeln und Palatschinken standen zur Auswahl. Sie entschied sich für Palatschinken, die sie in der Mikrowelle auftaute und mit Hagebuttenmarmelade füllte. Letztere eine besondere Spezialität und ebenfalls aus der Produktpalette ihrer Mutter.
Gegen fünf beschloss Paula frische Luft zu schnappen und in Richtung Institut für künstlerische Fotografie zu bummeln. Auf Wiens Hauptverkehrsstraßen herrschte Neuschneechaos. Überall Stau. Paula, in einen langen Daunenmantel gehüllt, zog es vor, die verschneiten Nebengassen entlangzuspazieren.
3.
Das Institut für künstlerische Fotografie befand sich in einer Seitengasse in der Nähe des Volkstheaters – für Paula ein Spaziergang von einer Viertelstunde. Im Wirbel der Schneeflocken, die von den Straßenlaternen in orangefarbenes Licht getaucht wurden, sinnierte sie vor sich hin. Markus. Er hatte gesagt, dass er sie bald wieder anrufen würde. Fix wolle er nichts zusagen, da er nun mal einen Beruf hatte, in dem ständig Unvorhergesehenes geschehen konnte. Ein Eurofighter konnte abstürzen oder sonst eine größere oder kleinere Katastrophe eintreten. Bevor sie der Versuchung erlag, zum Handy zu greifen und ihn anzurufen, erreichte sie das Institut.
Trotz Kälte und Dunkelheit standen Personengrüppchen vor dem Eingang, unterhielten sich und zogen bibbernd an ihren Glimmstängeln. Das Rauchen in öffentlichen Gebäuden war nicht mehr erlaubt, also hieß es wohl oder übel Frischluft in Kauf zu nehmen.
Die Studenten vor dem Gebäude legten offensichtlich Wert darauf, sich von „Normalos“ abzuheben. Durch ihre unkonventionelle Kleidung wollten sie wohl auf den ersten Blick deutlich machen, dass sie sich zur Gruppe der Künstler zählten. Die meisten waren schwarz in schwarz gekleidet.
Paula schlenderte an ihnen vorbei und trat durch das große Holztor. Das Institut war in einem repräsentativen Jahrhundertwendebau mit schöner Stuckfassade untergebracht, mit hohen Räumen und ebensolchen Fenstern. Innen hingegen präsentierte es sich karg und schäbig. Die Wände waren schon lange nicht mehr mit Farbe in Berührung gekommen, dafür aber großflächig mit Plakaten überklebt. Stellenweise bröckelte der Putz. Gleißendes Neonlicht trug das Seine zu der ungemütlichen Atmosphäre bei.
Paula schlenderte den langen Gang entlang, die meisten Türen standen offen und sie steckte ihre Nase in einige Klassenräume. Überall ein ähnliches Bild: alte Holzsitzbänke und Tischreihen, übersät mit Kritzeleien. Grüne Wandtafeln wie in der Schule, alles wirkte alt und schmuddelig.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Paula fuhr erschrocken zusammen.
„Nein, danke. Ich sehe mich nur um.“
„Sie wissen aber schon, dass wir ein privates Institut sind? Wir wollen eigentlich nicht, dass da jeder x-Beliebige hier herumspaziert.“
Die Frau, die ihr gegenüberstand, wirkte auf Paula einschüchternd. Sie war an die fünfzig, ihre Haut fahl. Die grau melierten Haare hatte sie zu einem festen Knoten gebunden. In Gedanken assoziierte Paula eine Frau in einem Schlachthof, die mächtige Silhouette in einen übergroßen blutverschmierten Mantel gehüllt, auf den Schultern ein halbes Rind transportierend.
„Hallo, junge Frau. Hören Sie mich? Was wollen Sie hier?“, riss die Fleischerin Paula aus ihren Gedanken.
„Entschuldigen Sie“, stammelte Paula. „Ich wusste nicht, dass Institutsfremden der Eintritt verboten ist. Eigentlich suche ich Gerlinde Wagner. Die Assistentin von Stefan Urban, der hier unterrichtet hat.“
„Die Wagner arbeitet nicht mehr hier“, kam es ruppig zurück. Das war nicht die Antwort, die sich Paula gewünscht hatte.
„Wie meinen Sie das?“
„Was soll ich wie meinen? Sind sie von einem anderen Stern, dass sie mich nicht verstehen?“, schnauzte die Frau sie an. „Die Wagner arbeitet nicht mehr hier und aus. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“
Nun wurde Paula ärgerlich. Was bildete sich diese Fleischerin eigentlich ein?
„Wissen Sie vielleicht, wo ich sie derzeit erreichen kann, oder können Sie mir eventuell etwas über Stefan Urban erzählen?“
„Über den Urban könnte ich Ihnen
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