Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: I Mayer-Zach
Vom Netzwerk:
trotz seiner körperlichen Einschränkung selbst zu versorgen. Das Einzige, was er Paula gestattete, war, dass sie die vollen Kaffeebecher ins Wohnzimmer trug.
    „Ich trinke meinen Kaffee am liebsten dort, da habe ich einen schönen Ausblick. Aber für uns beide wäre es wohl etwas zu eng.“ Er deutete auf den Platz vor einem Fenster, der gerade groß genug war, dass er seinen Rollstuhl dort hinstellen und das Geschehen auf der Straße beobachten konnte.
    Sie setzten sich an den Wohnzimmertisch.
    „Stefan war sehr sportlich, nur Schwimmen hat der Dummkopf nie gelernt. Hätte er nur seine Angst vor dem Wasser überwunden, dann wäre er jetzt vielleicht noch am Leben“, murmelte Blesch vor sich hin. In Paulas Kopf läuteten plötzlich die Alarmglocken. Urban konnte nicht schwimmen! War das vielleicht der Grund, warum sich die Polizei erneut für sein Ableben interessierte?
    „Aber sonst gab es wohl keine Sportart, die wir nicht betrieben hätten: Radfahren, Laufen, Tennis, Skifahren, Bergsteigen, was weiß ich. Mit seiner Vespa fuhren wir in der Gegend herum und ließen uns von den Mädchen bewundern. Und überall hatte er seine Kamera dabei.“ Die Erinnerung zeichnete ein Lächeln in Bleschs faltiges Gesicht.
    „Es war eine wunderbare Zeit, die wir gemeinsam hatten. Stefan war bis Mitte der sechziger Jahre in Wien. Dann wurde es ihm hier zu eng, und er ist wieder nach Paris zurückgegangen. Unser Kontakt brach dann leider ab. Ich hatte Frau und Kind und lebte mein kleines Leben, während er in Paris seine großen Erfolge feierte. Umso mehr hat es mich gefreut, als er in den neunziger Jahren zurückkehrte und wieder mit mir Kontakt aufnahm. Leider saß ich da schon im Rollstuhl und konnte ihn nicht mehr bei seinen Aktivitäten begleiten. Aber er kam regelmäßig vorbei, und dann sprachen wir über die gute alte Zeit. Er fehlt mir sehr.“
    „Ihre Frau und ihr Kind, wo sind die?“
    „Alle weit weg. Meine Frau liegt am Friedhof – Gott hab sie selig –, mein Sohn lebt in Kanada und kommt alle zwei Jahre auf einen Kurzbesuch vorbei.“
    Seine Augen glitzerten glasig. Abrupt wendete er seinen Rollstuhl, wie um die Traurigkeit abzuschütteln, und peilte einen Schrank an, dem er ein Fotoalbum entnahm.
    In der nächsten Stunde zeigte er Paula die Fotos seiner schönsten Jahre und erzählte ihr viele Geschichten, die er gemeinsam mit Urban erlebt hatte. Einige würden sich gut in die Biografie einbauen lassen.
    „Hier haben wir den wortwörtlich größten Fang gemacht.“
    Blesch deutete auf ein Foto, auf dem er, der Fotograf und noch ein dritter – bedeutend jüngerer – Mann zu sehen waren. Urban hielt einen großen Fisch über seinem Kopf. Im Hintergrund stand eine hübsche junge Frau mit einem auffälligen blonden Pagenkopf.
    „Ist das Ihre Frau?“, fragte Paula.
    „Die? Nein. Das war wohl eine von seinen Liebchen.“ Er lachte. „Davon gab es unzählige. Die Mädchen waren ganz vernarrt in ihn.“
    Kein Wunder, dachte Paula. Stefan Urban hatte unerhört gut ausgesehen.
    „War das auch ein Freund von Ihnen?“, fragte sie Blesch und deutete auf den jungen Mann neben ihm auf dem Fischfoto.
    „Nein, nicht dass ich wüsste.“
    Er blätterte rasch weiter und erzählte Paula noch viele Erlebnisse, von denen sie die meisten notierte. Immer schilderte er Stefan Urban als intelligenten und faszinierenden Menschen, dem die halbe Welt – vor allem die weibliche – zu Füßen gelegen war.
    Paula musste ihm beim Abschied versprechen, ihn unbedingt als Stefan Urbans Freund in der Biografie zu erwähnen. Er ludsie ein, ihn jederzeit wieder zu besuchen, gleich ob sie Fragen hatte oder nicht.
    Als Paula den Heimweg antrat, war es schon sehr spät. Sie musste sich sputen, denn Markus wollte in einer Stunde bei ihr sein. Mit Salamipizza und Prosecco. Für das Dessert wollte sie sorgen.

    3.
    Gerade weil sie so schön waren, vergingen die Stunden mit Markus wie im Flug. Die Reste der Pizza lagen in der Schachtel auf dem Wohnzimmerboden, die Flasche mit Prosecco war leer. Kurt war zu einer Vernissage gegangen, zu der auch Paula eingeladen gewesen war, die sie aber gerne für den Abend mit Markus abgesagt hatte. Reden, küssen, lieben – die Zeiger der Uhr wanderten unaufhörlich weiter. Gerade zeigten sie kurz nach elf.
    „Ich muss los.“
    „Jetzt schon? Du hast doch gesagt, dass du bis Mitternacht bleiben kannst.“
    „Schon, aber ich bin so müde und dann schlafe ich noch hier ein. Komm, mach es mir nicht so

Weitere Kostenlose Bücher