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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: I Mayer-Zach
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Erinnerung, zu der sie keinen Zugang fand.
    Immer gab es so viele Fragen und immer zermarterte sie sich den Kopf, um passende Antworten zu finden. Mark Twainsoll sinngemäß einmal gesagt haben, dass er eine ganze Menge Ärger in seinem Leben hinter sich gebracht habe, der meiste davon habe sich allerdings niemals ereignet. Genau so erging es ihr.
    Sie schloss die Augen und tauchte unter. Das warme Wasser gab ihr das Gefühl zu schweben. Ibrahim Ferrer, Omara Portuondo und Eliades Ochoa lullten sie ein und sangen auch noch von Liebe in all ihren Facetten, als sie später im Bett lag. Nachdem sie endlich eingeschlafen war, träumte sie von palmengesäumten Sandstränden, blauem Himmel, Straßen, auf denen Menschen musizierten und tanzten. Aber da war auch eine unsagbare Traurigkeit, die sie empfand.
    Paula saß mit Markus im Wohnzimmer von Blesch. Er erzählte ihr Geschichten von Frauen. Er lachte, seine Stimme wurde eindringlicher, sein Mund größer und größer. Die Lippen wurden zu Toren, aus denen Frauen herausströmten. Immer mehr. Sie wurden größer, umringten Paula und Markus, drängten sich an sie, bis sie keine Luft mehr bekam. Und dann tauchte diese Frau mit dem blonden Bubikopf auf. Sie stellte sich vor Paula hin und begann ihre Haare abzuschrauben.
    Ein Schrei steckte in Paulas Kehle. Sie riss die Augen auf. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich beruhigt hatte und begriff, dass alles nur ein Traum gewesen war. Sie sah auf die Uhr. Es war halb drei, und da war niemand, der sie in die Arme nahm und ihr gut zuredete. Sie versuchte wieder einzuschlafen, aber sie hatte keine Chance. Sobald sie die Lider schloss, waren die bedrückenden Bilder von vorhin wieder da. Und die quälende Frage, warum ihr die Frau auf dem Bild so bekannt vorkam.
    Sie nahm ein Buch zur Hand, um sich abzulenken: In „Die Glut“ von Sándor Márai bleibt zwei Jugendfreunden eineeinzige Nacht, um Wahrheit und Lüge auf den Grund zu gehen. Eine einzige Nacht, um das, was vor vielen Jahren geschehen war, endlich abzuschließen. Es war nicht der geeignete Lesestoff, um sich positiv zu stimmen. Doch irgendwann verschwammen die Buchstaben vor Paulas Augen, und sie sank endlich in einen tiefen Schlaf.

Acht
    1.
    Voller Spannung sah Paula dem Treffen mit Gerlinde Wagner entgegen. Neben dem Schreiben an der Biografie hatte sie die letzten Tage mit Weihnachtsvorbereitungen verbracht. Es waren nur noch zehn Tage bis zum Heiligen Abend, und so marschierte sie los und kaufte für Markus eine CD von Fabio Concato, den sie bei ihren Treffen in ihrem Liebesnest rauf- und runterspielten. So wollte sie dafür sorgen, dass er auch im Heiligen Land Tirol unzüchtige Gedanken an sie hegte. Dazu würde sie ihm eine Karte schenken, in der ein passender Textteil aus einem der Lieder stehen sollte: „… Sono lontano e stai con me … ho fiducia in ciò che farai … Tienimi dentro te, vorrei vedere il mondo coi tuoi occhi per un po’, amerò come te, piangerò come te, griderò come te se non mi stanno ad ascoltare …“, was übersetzt so viel bedeutete wie: „… Ich bin weit weg, aber du bist bei mir. Ich hab Vertrauen in das, was du tust. Ich möchte die Welt mit deinen Augen sehen, so lieben wie du, weinen wie du und schreien, wenn sie mir nicht zuhören …“ Vielleicht war das ein bisschen zu kitschig, aber es war passend. Nun, sie hatte noch einige Tage Zeit, den Mut dafür zu sammeln.
    Für ihre Mutter erstand sie ein Twinset aus Kaschmir in abgestuften Blautönen und für ihren Vater, der lange Spaziergänge in der Natur liebte, ein Fernrohr, um Tiere zu beobachten. Zum Beispiel Enten, wenn er schon keine mehr zu Weihnachten bekommt, dachte Paula und musste grinsen. Ihre Mutter hatte sich geweigert, wieder die fette Weihnachtsente mit Maronifüllung zu kredenzen, die ein Rezept seiner Mutter war und für ihn fix mit diesem Fest verbunden war. Paula konntesich nicht erinnern, dass es je etwas anderes gegeben hätte. Dafür erinnerte sie sich umso besser daran, dass sie jedes Jahr die Fleischstücke dezent vom Teller hatte verschwinden lassen.
    Für Clea kaufte sie eine DVD über den Buena Vista Social Club mit Interviews und Studioaufnahmen. Sie fuhren derzeit voll auf Kuba ab und wollten im nächsten Jahr drei Wochen lang mit einem Mietwagen die Insel erkunden. Paula hatte mittlerweile drei Reiseführer zu Hause und ihre Liebe für die kubanische Musik entdeckt.
    Der Schnee war schon seit Tagen verschwunden, dafür war es bitterkalt

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