Schärfentiefe
hatte, aber Blesch stand nicht drauf.
Dann fiel Paula das Telefonregister ein, das Ada aus Urbans Wohnung entwendet hatte. Sie suchte unter B nach dem Nachnamen und hatte in Kürze Bleschs Telefonnummer gefunden. Volltreffer.
Sie wischte die letzten Reste der Gulaschsuppe mit der Semmel aus dem Teller. Dann wählte sie die Nummer.
„Blesch.“ Der Angerufene war nur sehr leise zu hören.
„Herr Konrad Blesch?“, schrie Paula in den Telefonhörer. Warum in aller Welt begann man selbst laut zu schreien, wenn man den anderen schlecht hörte?
„Sie müssen nicht so laut sprechen. Ich höre Sie sehr gut.“
„Herr Blesch, ich habe von der Hausverwalterin von Herrn Stefan Urban erfahren, dass Sie mit ihm befreundet waren. Da ich eine Biografie über ihn schreibe, bin ich auf der Suche nach Freunden und Bekannten, die mir etwas über ihn erzählen können. Würden Sie sich mit mir treffen?“
„Gern. Kommen Sie irgendwann am Nachmittag vorbei, da bin ich meistens zu Hause. Am Vormittag werde ich oft zur Behandlung ins Spital gefahren. Ich kann Ihnen ein paar Fotos zeigen und einige Geschichten über ihn erzählen. Wir kannten uns sehr lange.“
Blesch gab sich sehr mitteilsam. Sie vereinbarten ein Treffen für den gleichen Nachmittag.
Paula war zufrieden. Heute war einer dieser Tage, an denen alles wie am Schnürchen lief. Wenn es so weiterging, konnte sie Santo Ende Jänner bereits das fertige Manuskript vorlegen, nicht nur das Konzept.
Sie rief Ada an, um sie zu fragen, ob sie bei dem Gespräch dabei sein wollte, doch die lehnte ab. Santo hatte sie mit so viel Arbeit eingedeckt, dass sie nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Aber sie versprach, am nächsten Morgen anzurufen.
Paula zog es vor, ihr nichts vom guten Verlauf ihres Tages zu sagen. Sie kannte die Situation, in der einem die Arbeit über den Kopf wuchs und für nichts anderes mehr Zeit blieb. Wehe, wenn dann noch jemand kam und erzählte, wie gut und leicht ihm selbst alles von der Hand ging.
Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte es. Du liebe Güte! Es war Markus. Da hatte sie doch glatt über all der Arbeit vergessen, ihm auf seine E-Mail zu antworten.
Er war zauberhaft und charmant. Ob sie vielleicht heute Abend Zeit hätte? Er wolle sie gern auf eine Pizza einladen. Wenn es ihr recht sei, am liebsten gleich bei ihr, damit sie das süße Dessert gleich anschließend genießen konnten. Was für ein Vorschlag! Paula war selig. Ob er die Nacht über bei ihr bliebe? Sie wolle das nur wissen, damit sie genug fürs Frühstück zu Hause habe.
„Nein, unter der Woche kann ich nicht bei dir übernachten. Ich habe dir ja schon gesagt, dass mein Arbeitstag meist mit einem Pressetermin beginnt. Morgen muss ich zur Präsentation des aktuellen Geschäftsberichts einer Bank. Da will ich nicht zerzaust auftauchen. Aber bis Mitternacht bleibe ich.“
2.
Konrad Blesch öffnete auf Paulas Klingeln. Er saß im Rollstuhl. Die Wohnung war ordentlich aufgeräumt, aber es roch muffig und nach Schweiß.
Blesch rollte in die Küche und stellte Kaffee auf. Paulas Versuche, ihm zu helfen, wies er zurück. „Multiple Sklerose seit zehn Jahren“, klärte er sie auf. „Ich bin es gewohnt, mir selbst zu helfen. Solange es noch geht.“
Während die Flüssigkeit in die Kanne tröpfelte, zeigte er Paula einige Fotos, die ihn und Urban bei verschiedenen sportlichen Aktivitäten zeigten.
„Ich habe Stefan 1962 kennengelernt. Seine Arbeit und seine Persönlichkeit haben mich sehr fasziniert. Damals arbeitete er an einigen Bildbänden über Wien und nahm mich oft auf Motivsuche mit. Er hat mir erst gezeigt, was es heißt, zu sehen. Durch ihn habe ich gelernt, dass Schönheit oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist. ‚Konrad‘, sagte er immer, ‚du musst dich aufs Wesentliche konzentrieren. Halte deine Blendenöffnung klein, umso größer ist dann die Schärfentiefe. Damit deine Wahrnehmung nicht unscharf wird.‘ Er hat mich immer sehr beeindruckt.“
„Darf ich Sie zitieren?“, fragte Paula. Die Biografie begann sich von selbst zu schreiben.
Konrad nickte versunken.
„Gern. Bekomme ich auch eine Ausgabe der Biografie?“
„Selbstverständlich.“
Sie rollten beziehungsweise gingen in die Küche zurück, wo der Kaffee mittlerweile durchgelaufen war. Blesch nahm aus einem Küchenschrank zwei Kaffeebecher und ließ es nicht einmal zu, dass Paula ihm beim Einschenken zur Hand ging.
Er war es ganz offensichtlich gewohnt, allein zu leben undsich
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