Schärfentiefe
wie es war, habe ich mir gedacht, das schaffe ich sowieso nie, und habe es lieber eingesteckt.“ Sie kicherte boshaft.
„Ist das Diebstahl?“ Paula betrachtete das Telefonregister und strich über das feine Leder.
„Wo kein Kläger, da kein Richter“, erwiderte Ada lapidar.
„Kannst ja mal hineinschauen, ob die Telefonnummer von Gerlinde Wagner drinsteht. Nur für dein Seelenheil meine ich, auch wenn es für die Biografie nichts bringt …“
Paula schlug unter W nach, aber es gab keinen Eintrag. Dann versuchte sie es unter G. Hier stand die Nummer einer „Gerli“. Eine Handynummer.
„Wie spät ist es jetzt?“, fragte sie Ada, die zufrieden vor sich hin döste.
„Kurz vor neun.“
Paula wählte kurzerhand die angegebene Nummer und – es meldete sich eine Gerlinde.
„Spreche ich mit Gerlinde Wagner?“
„Wer will das wissen, und woher haben Sie meine Nummer?“
Paula überlegte kurz. Die Wahrheit konnte sie ihr nicht sagen, die klang zu seltsam, und lügen wollte sie nicht.
„Ich schreibe an einer Biografie und bin bei den Recherchen auf Ihre Telefonnummer gestoßen. Würden Sie mir bei meiner Arbeit behilflich sein?“
Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Paula hoffte inständig, dass Gerlinde Wagner nicht genauer nachfragte. Sie hatte Pech.
„Eine Biografie über wen?“
„Stefan Urban. Bitte hängen Sie nicht auf. Ich weiß, dass Sie Ihre Assistentenstelle bei ihm gekündigt haben. Deshalb möchte ich ja mit Ihnen sprechen.“
Eine weitere Gesprächspause. Diesmal länger als zuvor. Aber die Wagner legte nicht auf.
„In Ordnung. Ich werde mich mit Ihnen treffen.“
Sie vereinbarten einen Termin für kommenden Dienstag im „ Einstein “, einem Studentenlokal hinter der Hauptuniversität, in dem Gerlinde Wagner nun arbeitete. In unmittelbarer Nähe von Paulas Wohnung. Sie traf sich dort oft mit Freunden. Wie klein die Welt doch war.
Ada sah sie nachdenklich an. „Wenn ich es richtig verstanden habe, hast du soeben diese Gerlinde Wagner ausfindig gemacht und triffst dich mit ihr. Na, dann Prost!“
Sie hoben ihre Gläser und stießen auf weitere gute Zusammenarbeit an.
Sieben
1.
Am nächsten Morgen traute Paula kaum ihren Augen, als sie eine E-Mail von Markus vorfand, in der er sich erkundigte, ob sie den vergangenen Abend genossen hätte. Wie meinte er das? Und dann sparte er nicht mit Liebesbezeugungen und Floskeln, wie sehr sie ihm abginge und dass er es nicht erwarten könne sie wiederzusehen.
Schon wollte sie ihm antworten, doch noch während sie grübelte, was sie ihm am besten schreiben sollte, kam eine neue E-Mail herein: von der Firma AT Grafix. Markus musste noch etwas warten, die Neugier war stärker. Sie öffnete die Mail und stellte freudig überrascht fest, dass die Agentur ganze Arbeit geleistet hatte. Es war ein PDF-Dokument angehängt mit dem vollständigen Kapitel über Stefan Urban und allen Bildern. Natürlich auch jenem, auf dem Gerlinde Wagner zu sehen war.
Sie las den Beitrag durch. Auch wenn sie in der Zwischenzeit dank Adas Kleptomanie Gerlinde Wagner ausfindig gemacht hatten, war das genau der Stoff, aus dem Santo die Biografie haben wollte: Erfolge, Ehrungen und Fachwissen.
Sie bedankte sich sofort per Mail bei AT Grafix für die rasche Zusendung der Informationen. Keine zwei Minuten später erhielt sie noch eine Ergänzung: Der Text sei von Stefan Urban selbst für die Broschüre geschrieben worden, daher lägen die Rechte bei ihm. Sie solle sich bitte von ihm die Freigabe beschaffen. Endlich jemand, der ebenso wie sie nicht mitbekommen hatte, dass der Fotograf tödlich verunglückt war.
Sie kopierte den Text der Broschüre in ein Word-Dokument, schrieb Passagen um und ergänzte ihn. Als sie sich einige Stunden später vom Schreibtisch erhob, hatte sie den Aufbau derBiografie strukturiert und die ersten fünfzehn Seiten geschrieben. Sie war mit sich und der Welt sehr zufrieden und genehmigte sich zur Stärkung eine Gulaschsuppe à la Mama.
Sie aß am Schreibtisch, ließ es sich schmecken und surfte nebenbei im Internet. Allen Ernährungsberatern zum Trotz, für die eine andere Beschäftigung neben dem Essen ein Laster war. Nur die Brösel, die in die Tastatur gefallen waren, würde sie herausfummeln müssen. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie sprang auf und lief in die Garderobe. Aus der Tasche ihres Mantels zog sie ein zerknittertes Stück Papier.
„Konrad Blesch.“ Sie ging die Namen auf der Liste durch, die Ada ihr geschickt
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