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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: I Mayer-Zach
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Fotos?“
    „Doch, genau deswegen!“
    Cleas Stimme überschlug sich.
    „Nie hätte ich zu träumen gewagt, dass sich ernsthaftjemand meldet. Komm schnell. Ich kann es nicht erwarten, es dir zu zeigen.“ Aha. Nicht einmal Clea hatte daran geglaubt.
    Paula ging den gleichen Weg zurück, den sie gekommen war. Der Schnee wurde durch den stärker werdenden Regen klebrig und nahm eine unschöne graue Farbe an.
    Zu Hause erwartete Clea sie bereits ungeduldig und las ihr die E-Mail vor:
    „Hallo nach Wien! Ich bin mir ziemlich sicher, dass die gesuchte Frau auf eurem Foto Elsa Tin ist. Eine bekannte Klavierspielerin in den frühen sechziger Jahren. Ich hoffe, dass ich euch helfen konnte und wünsche euch frohe Weihnachten! PS: Bitte gebt mir Bescheid, wenn eure Biografie fertig ist. Schöne Grüße aus Hannover, Ulrike.“
    „Unglaublich“, murmelte Paula.
    Das globale Dorf war ihr manchmal unheimlich. Da hatten sie eine Frage ins Internet gestellt, und eine Frau, über tausend Kilometer entfernt, hatte binnen Kurzem darauf geantwortet. Vielleicht würde es doch irgendwann gelingen, Menschen von einem Ort zum anderen zu beamen? Eine großartige Vorstellung für Paula, die unter Flugangst litt.
    Clea saß schon wieder vor dem Computer. Sie gab den Namen in eine Suchmaschine ein und erhielt siebenundsechzig Einträge für diesen Begriff.
    Elsa Tin wurde auf Websites von Musikinstituten oder Universitäten erwähnt, bei einem der größten Onlineshops wurde eine CD angeboten. Es war von ihr in einem Referat eines Studenten die Rede, der sich mit der Entwicklung der klassischen Musik in den sechziger Jahren auseinandergesetzt hatte. Ebenso fand die Musikerin auf der Website einer im Jahr 1961 geborenen Frau Erwähnung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, so viel wie möglich von ihrem Geburtsjahr in Erfahrung zu bringen und dieses Wissen auch anderen zugänglich zu machen.
    Am meisten beeindruckte Paula aber die Website einer weißhaarigen Dame, die mindestens sechzig sein musste, fröhlich von einem Foto herunterlachte und sich jedem, der hier hineinklickte, vorstellte. Nach eigenen Angaben hatte sie die Website selbst erstellt und verwaltete sie auch selbst. Elsa Tin fand sich bei ihr unter dem Button „Meine Lieblingsmusik“ mit einem kurzen Lebenslauf und der Auflistung einiger Werke.
    So erfuhren sie, dass Elsa Tin in Wien geboren worden war, am Konservatorium Klavier studiert und bald erste Erfolge gefeiert hatte. Sie war in vielen Ländern gewesen und rasch zum international gefeierten Star geworden. Anfang der siebziger Jahre war sie in einem Hotelzimmer in Nizza an Herzversagen gestorben.
    Sie klickten sich durch die verschiedenen Links, bei einigen Websites gab es auch ein Bild. Es handelte sich bei der blonden Frau eindeutig um Elsa Tin. Im Großen und Ganzen enthielten alle Websites einen ähnlichen Lebenslauf der Musikerin. Nur hinsichtlich ihres musikalischen Könnens, ihrer Musikaufnahmen oder im Vergleich mit anderen Musikern dieser Zeit variierten die Informationen.
    Als Paula Clea darauf ansprach, handelte sie sich sofort einen Fachvortrag ein:
    „Das ist logisch. Die haben wahrscheinlich alle im Internet recherchiert, und einer hat vom anderen abgeschrieben, weil man über Elsa Tin natürlich keine zeitgeschichtlichen Informationen im Internet finden kann. Sie ist zu einer Zeit gestorben, als in den USA gerade mal ein Netz für militärische Zwecke entstand. Das Internet gibt’s überhaupt erst seit 1983, und benutzerfreundlich ist es erst Mitte der neunziger Jahre mit dem World Wide Web geworden. Seitdem kann auch Otto Normalverbraucher leicht damit umgehen, ohne erst elendslange Formeln hineinzuklopfen, darum boomt es ja so.“
    Mit dem Boom hatte Clea völlig recht. Paula dachte an diealte Dame, die eine eigene Website erstellt hatte. Heute war es selbstverständlich, dass auf jeder geschäftlichen und auf vielen privaten Visitenkarten eine Internetadresse stand. Vor fünfzehn Jahren hatte es noch beeindruckt, wenn eine Faxnummer angegeben war.
    „Wieso haben fast alle Fotos von Elsa Tin?“
    „Die kannst du von jedem CD-Cover scannen und einspielen.“
    „Aber in der Nationalbibliothek kann man bestimmt Zeitungen finden, in denen etwas über Elsa Tin steht.“
    „Klar. Du wohnst ja auch hier. Aber du meinst doch nicht im Ernst, dass die sympathische Omi aus Nordrhein-Westfalen extra nach Wien reist, um mehr über Elsa Tin zu erfahren. Außerdem bin ich mir nicht mal sicher, ob du viel finden

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