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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: I Mayer-Zach
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keinen Ordner verschoben.“ Dass Ada eine Modenschau veranstaltet hatte und die Federboas und Kostüme manchmal nicht in die richtigen Säcke zurückgelegt hatte, konnte so schlimm nicht sein.
    „Ich bin vor einigen Tagen nochmals in Urbans Haus gefahren und dort war alles auf den Kopf gestellt. Fotos und alle möglichen Dinge lagen auf dem Boden verstreut. Es sah noch unheimlicher aus als bei meinem ersten Besuch.“
    Paula versicherte ihr hoch und heilig, dass sie sich nur kurz mit einer Freundin umgesehen und kaum etwas angerührt hatte.
    „Ist ja auch völlig egal. Aber sagen Sie, was wissen Sie noch?“, fragte Znan.
    In den letzten Minuten hatte sich ihr äußeres Erscheinungsbild schlagartig verändert. Das Strahlen war gewichen,um den Mund hatte sich ein harter Zug gebildet und ihre Augen bohrten sich in Paulas. Sie ähnelte wieder ganz der Frau, der Paula vor einigen Wochen im Institut für künstlerische Fotografie begegnet war.
    „Ich weiß, dass Sie für Urban mehr empfunden haben, als er für Sie, dass er Sie betrogen hat. Ich weiß, dass er ein Doppelleben geführt hat, von dem Sie anfänglich nichts wussten, und kann mir sehr gut vorstellen, dass es Sie arg getroffen hat, als Sie das herausgefunden haben. Ich weiß weiter, dass seine Assistentin nicht weggegangen ist, weil ihr die Arbeit mit Urban zu anstrengend war, sondern weil er sie missbraucht hat. Schließlich und endlich weiß ich noch, dass die junge Frau zu Ihnen gekommen ist und Sie um Hilfe und Unterstützung gebeten hat und Sie ihr beides verweigert haben.“
    „Hat Wagner Ihnen das alles erzählt?“, hauchte Znan, sichtlich erschüttert.
    „Sie hat mir ihre Geschichte erzählt. Den Rest …“, dabei deutete Paula auf die Briefe, „habe ich selbst herausgefunden.“
    Znan kramte wieder in der Tasche. Als Paula ihr ins Gesicht blickte, sah sie, dass sie weinte. Endlich fand Znan ein Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen abwischte und sich die Nase putzte.
    Einer der Ober sah mit gerunzelter Stirn in ihre Richtung.
    „Es tut mir so leid. Es tut mir alles so leid“, bei diesen Worten begann sie lauthals zu schluchzen. Einige umliegende Zeitungswände begannen zu rascheln, die hervorlugenden Gesichter nahmen ob des emotionalen Gefühlsausbruchs eine irritierte Miene an.
    Der Ober schwebte an ihren Tisch.
    „Meine Dame, kann ich Ihnen helfen?“
    Er hielt Znan eine weiße Stoffserviette hin.
    „Möchten Sie sich ein wenig frisch machen?“
    „Nein, danke. Entschuldigen Sie. Es ist alles in Ordnung. Nur ein Todesfall in der Familie“, sagte Paula und wenn man es recht bedachte, war das nicht einmal gelogen.
    Der Ober legte seine rechte Hand aufs Herz:
    „Darf ich Ihnen mein ergebenes Beileid aussprechen. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich bitte wissen.“
    „Ist gut, ja“, sagte Znan, die sich mittlerweile ein wenig gefasst hatte.
    Der Ober machte wieder eine kleine Verbeugung und verließ den Tisch.
    „Wissen Sie, ich habe eine schwere Zeit durchgemacht. Ja, es stimmt, ich hatte mich unsterblich in Urban verliebt. Als er an mein Institut kam, freute ich mich, dass eine solch prominente Person wie er zu unserem Team gehörte. Aber mit der Zeit bemerkte ich, dass er meine Nähe suchte, mich lange anblickte, wenn wir miteinander sprachen und mich immer wieder wie zufällig berührte. Irgendwann lud er mich zum Abendessen ein und danach in seine Wohnung. Was soll ich sagen? Ich bin fünfundfünfzig Jahre alt, und die Männer sind nie bei mir Schlange gestanden. Er hat mir vom ersten Augenblick an imponiert, und ich war geschmeichelt, dass er für mich Interesse zeigte. Jedenfalls kam es von da an immer wieder vor, dass wir gemeinsam eine Nacht verbrachten. Damit Sie mich nicht falsch verstehen – sexuell lief da nichts zwischen uns, obwohl ich mich sehr darum bemühte. Stattdessen schrieben wir uns exzessive Briefe, in denen ich das auslebte, was mir in der Realität versagt blieb.“
    Znan machte eine kurze Pause, dann fuhr sie leise fort:
    „Das ging eine ganze Zeit lang so. Ich weiß ja nicht, ob es ein Zufall war, aber kurz, nachdem ich ihn zum Partner meines Instituts gemacht hatte, hörten die Einladungen und Briefe auf. Ich schob es auf sein Alter. Den Gedanken, dass er mich nur ausgenutzt haben könnte, ließ ich gar nicht erst zu. Und dann kam eines Tages seine Assistentin zu mir ins Büro und berichtetemir weinend, was Urban ihr angetan hatte. Im ersten Augenblick war ich überzeugt, dass

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