Schärfentiefe
würde. Sie reichten sich die Hände zum Abschied.
„Aller guten Dinge sind drei: Beantworten sie mir noch eine Frage? Wenn Sie Urban umgebracht hätten, wie hätten Sie es getan?“
„Er hasste Wasser. Darum hätte ich ihn zuerst in der Badewanne ersäuft und dann in die Donau geworfen.“
Wie sie da mit ihren breiten Schultern vor Paula stand, zweifelte diese keinen Augenblick daran, dass Znan ausreichend Kraft besessen hätte, den alten Mann unter Wasser zu halten und ihn anschließend überallhin zu transportieren.
Paula hatte noch keine Lust heimzugehen, also schlenderte sie in die Stadt hinein und machte einen Schaufensterbummel. Das Handy trug sie in der Manteltasche. Immer wieder kontrollierte sie das Display, um einen möglichen Anruf von Krein nicht zu versäumen. Dem launischen Empfang ihres Handys war nicht zu trauen.
Aber bis auf einen Anruf von Markus, den sie nicht entgegennehmen wollte, blieb es stumm. Auf der Mailbox bat er sieflehentlich, ihm doch noch eine Chance zu geben. Morgen sei Silvester, und er wolle unbedingt mit ihr gemeinsam feiern. Er sei schließlich extra ihretwegen nach Wien gekommen. Er habe weder Frau noch Kind, dafür Karten für die Generalprobe des Neujahrskonzerts im Musikvereinssaal, das er unbedingt mit ihr genießen wolle. Sie solle nicht so stur sein und ihn bitte, bitte zurückrufen. Alles sei nur ein schreckliches Missverständnis.
Paula löschte die Nachricht umgehend. Bei diesem Menschen war Hopfen und Malz verloren. Was glaubte dieser Verrückte eigentlich, und was erwartete er von ihr? Dass sie ihm seine Märchen glaubte? Oder nett und friedlich sein Doppelleben akzeptierte und zudem dankbar für das bisschen Zeit war, das er mit ihr neben Beruf und Familie zu verbringen gedachte? Was ging in seinem Kopf vor, dass er sie ernsthaft für so dumm hielt?
Bei einem der Stände, die Glücksbringer anboten, deckte sich Paula mit kleinen, rosafarbenen Plüschschweinchen ein, die sie ihren Freunden am Neujahrstag schenken wollte. Ein Set zum Bleigießen ließ sie sich auch einpacken. Vielleicht hatte sie Lust darauf, wenn sie mit sich allein Silvester feierte. Es kam zwar nie etwas Originelles dabei heraus, aber es machte Spaß. Die meisten Figuren glichen einem Stängel mit Dornen, was dann unverfänglich so gedeutet werden konnte, dass das kommende Jahr zwar schön, aber auch dornig wie eine Rose sein würde.
Paula bummelte die Kärntner Straße entlang bis zur Oper und stieg dort in die Straßenbahn ein, als das Handy läutete. Aber es war nicht Krein, es war auch nicht der Verrückte. Es war wieder Santo höchstpersönlich.
„Hallo Paulinchen, was machst du denn gerade?“ Bei dieser zärtlichen Anrede läuteten bei ihr die Alarmglocken. Was wollte er?
Ich recherchiere für die Biografie und decke lauter Dinge auf, die dir die Haare zu Berge stehen lassen würden, dachte sie.Laut sagte sie aber nur: „Ich bereite ein Seminar vor. Gibt es etwas Neues?“
„Sag, würde es sich bei dir vielleicht irgendwie ausgehen, dass du heute um sechs Uhr zu mir ins Büro kommst?“, säuselte Santo liebenswürdig. „Ich kann mir vorstellen, dass dir das so kurzfristig sicher ungelegen kommt, aber es wäre sehr, sehr wichtig für die Zukunft der Agentur. Es geht um einen großen Etat, den ich mir nicht durch die Lappen gehen lassen darf. Ich verspreche dir, dass es nicht lange dauert, und du hättest dann einiges bei mir gut.“ Es musste sehr wichtig sein, wenn Santo sich aufs Betteln verlegte.
„Darf man erfahren, worum es geht?“
„Das kann ich dir im Moment nicht sagen. Aber es hat mit der Biografie zu tun.“
Paula hätte fast laut herausgelacht. Ach nein, mit der Biografie? Vielleicht mit ihren Recherchen? Vielleicht mit einem offiziellen Herrn, der ein strapaziertes Nervenkostüm hatte? Sie rechnete kurz nach: Um drei Uhr würde sie sich mit Krein treffen, sofern er nicht absagte. Wenn sie sich um fünf Uhr auf den Weg machte, dann konnte sie bequem um sechs Uhr in der Agentur sein. Denn eines musste sie Santo lassen, so geizig er war, aber loyalen Mitarbeitern gegenüber ließ er sich nicht lumpen.
„Sechs Uhr ist in Ordnung. Ich werde da sein.“ Sie hörte, wie Santo „Gott sei Dank“ seufzte. „Und ich werde auch einige so interessante Informationen mitbringen, dass euch die Ohren schlackern werden“, murmelte sie, nachdem sie aufgelegt hatte.
4.
Kurz vor drei Uhr betrat sie den Eingangsbereich der Seniorenresidenz. Es hatte wieder die gleiche
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