Schärfentiefe
Ursprünglich wollte sie ins Institut gehen, aber dann war ihr eingefallen, dass es über Weihnachten und Silvester sicherlich geschlossen war.
Nach dem dritten Läuten meldete sich Znan mit verschlafener Stimme.
„Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht wecken. Hier spricht Paula Ender. Sie haben mich gestern angerufen?“
„Paula Ender? Ach so, die Biografieschreiberin. Richtig!“ Gleich klang Znan um einiges munterer.
„Danke, dass Sie mich zurückrufen. Ich habe gestern zweimal versucht, Sie zu erreichen, aber ich hatte immer die Mailbox dran.“
„Was kann ich für Sie tun?“
„Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie noch an der Biografie arbeiten oder ob sie ihre Recherchen einstellen mussten?“
Was faselte die Frau da? Was meinte sie mit „Recherchen einstellen müssen“? Wusste sie, dass bei ihr eingebrochen und der Computer gestohlen worden war? Hatte vielleicht sogar sie die Einbrecher geschickt, damit Paula nicht mehr weiterarbeiten konnte? Aber das ergab keinen Sinn.
„Ich verstehe nicht ganz.“
„Ich meinte nur, weil ich vorgestern einen Anruf erhalten habe von einem gewissen Herrn Doktor, der mich ausgefragt hat, ob sich jemand bei mir über Stefan Urban erkundigt habe. Ich habe ihm erzählt, dass Sie offiziell an seiner Biografie arbeiten, einmal bei mir waren und wir darüber gesprochen hätten. Er bat mich, Ihnen keine weiteren Informationen zu geben, da das Projekt möglicherweise gestoppt wird. Ach ja, und er erkundigte sich nach Gerlinde Wagner und wollte von mir wissen, wo er sie finden könnte. Aber ich habe ihm das Gleiche wie Ihnen gesagt, dass ich nicht weiß, wo sie sich zurzeit aufhält.“
Paula fehlten die Worte. Jemand bemühte sich eifrig, die Recherchen für das Biografieprojekt zu boykottieren. Es wurde immer rätselhafter. Gestern Santo, der sie aufforderte, sich nicht in Details zu verlieren, jetzt das.
„Frau Ender?“
„Entschuldigen Sie, ich bin nur sehr überrascht. Aber zurück zu Ihrer Frage: Doch, ich arbeite noch an der Biografie und habe bisher keine Anweisung erhalten, meine Recherchen einzustellen.“
„Das ist fein. Falls Sie noch Informationen zu Urban benötigen, könnte ich Ihnen noch einiges zusammenstellen.“
Das Angebot kam Paula gelegen.
„Unterlagen brauche ich keine mehr. Aber ich würde mich gerne nochmals mit Ihnen unterhalten. Vielleicht können Sie mir einige Anekdoten, die ich in die Biografie einbauen kann, und einiges über die Entstehung des Instituts erzählen.“
„Ich habe Zeit. Wenn Sie möchten, können wir uns heute Vormittag treffen“, schlug Znan vor.
Sie vereinbarten ein Treffen für zehn Uhr im Café Landtmann.
2.
Das bedeutete, dass Paula sich sputen musste. Gerade als sie unter der Dusche stand, läutete es. Clea und Kurt hatten einen Schlüssel. Das konnten nur die CDs sein, die sie vorgestern beim Onlineversand bestellt hatte. Rasch hüpfte sie aus der Dusche, abspülen war nicht möglich, wenn sie den Postboten nicht versäumen und das Paket beim Postamt abholen wollte. Sie schlüpfte rasch in den Bademantel, riss die Tür auf und – glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Da stand Markus mit einem riesigen Strauß orangefarbener Rosen. Ja hatte dieser Mann denn überhaupt keinen Anstand? Anstatt bei Frau und Kind zu sein, stand er vor ihrer Tür. Der Schaum tropfte auf den Boden, sie zog den Bademantel enger. Sollte sie ihn einfach draußen stehen lassen, angelehnt, sozusagen? Oder sich anhören, was er zu sagen hatte? Ihre Neugier siegte. Denn wenn er so dreist war, sich hierherzutrauen, nach allem, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte, dann musste er eine gute Rede vorbereitet haben, und die wollte sie sich nicht entgehen lassen.
„Was willst du?“
„Kann ich reinkommen, oder lässt du mich draußen stehen?“
„Ich lasse dich draußen stehen, da ist es für dich weniger gefährlich, und das Grünzeug kannst du dir auch behalten. Von dir nehme ich nichts mehr. Also sag deinen einstudierten Text auf und dann geh.“
„Paula …“ Er sah richtig verzweifelt drein. Aber er war ein Schwein, das durfte sie nicht vergessen, auch wenn es ihr das Herz brach.
Schließlich riss er sich zusammen, straffte seinen Oberkörper und sprach mit voller Stimme: „Ich habe meine Frau undmein Kind schon vor geraumer Zeit verlassen. Ich kann ohne dich nicht leben. Die Beziehung zu meiner Frau war nur noch freundschaftlich, wir verstehen uns gut, aber wir leben nicht mehr zusammen und wir lieben uns nicht
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