Schärfentiefe
Stunden wiederkommen. Als ich nach der angegebenen Zeit wiederkam, lag Elsa auf einem Bett und war nicht ansprechbar. Sie faselteunzusammenhängendes Zeug von Zügen, die durch Lichttunnel führen und von dicken Babys, die zu groß seien, um durch die Tunnel zu kriechen. Dann lachte sie wie eine Verrückte. Die Hebamme streckte die Hand nach dem Geld aus und schickte mich rasch mit meiner, mit Morphium voll gepumpten, Schwester weg.“
Die Augen Kreins hatten sich mit Tränen gefüllt, und er schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen, als er weitersprach: „Die Hebamme hatte mir erklärt, dass es normal sei, dass Elsa noch eine Zeit lang Blutungen hätte. Aber sie hörten nicht auf, sondern wurden immer schlimmer. Als ich endlich einen Arzt holte, war es schon zu spät, er konnte sie nicht mehr retten. Der Blutverlust war schon zu groß. Elsa starb, ohne wieder klares Bewusstsein erlangt zu haben. Ich flehte den Mann an, nicht die wahre Todesursache in die Sterbeurkunde zu schreiben, sondern Herzversagen anzugeben. Ich wollte zumindest, dass sie ein christliches Begräbnis erhielt. Da er selbst katholisch war und auch, weil er das angebotene Geld gut brauchen konnte, tat er mir diesen Gefallen.“
Paula reichte Krein ein Taschentuch.
„Ich habe alles falsch gemacht, ich habe mitgeholfen, den liebsten Menschen, den ich auf dieser Welt hatte, zu zerstören. Hätte ich ihr Urban nie vorgestellt, dann wäre das alles nicht geschehen. Das werde ich mir nie verzeihen. Natürlich wäre die Liaison so oder so auseinandergegangen, weil Elsa irgendwann draufgekommen wäre, dass er ein Lügner war. Aber es wäre in aller Stille passiert, ohne böse Worte und ohne ihrer Karriere zu schaden. Und dann hätte sie auch das Kind behalten können, weil niemand erfahren hätte, wer der Vater war.“
Paula wollte ihm etwas Tröstendes sagen, aber ihr fehlten die Worte. Es war schwer zu entscheiden, wer wofür die Schuld trug. Stattdessen stellte sie ihm jene Frage, die ihr brennend auf der Zunge lag: „Haben Sie Urban jemals wiedergesehen?“
Krein blickte sie mit seinen rot unterlaufenen Augen traurig an und seufzte laut. Dann wischte er sich nochmals mit dem Taschentuch über das Gesicht, bevor er antwortete.
„Ja, ich habe ihn wiedergesehen. Nach dem Tod meiner Schwester kehrte ich nach Österreich zurück. Ich hatte unser Geld gut angelegt, sodass ich mir ein kleines Haus in Mistelbach kaufen und eine Firma gründen konnte. Niemand ahnte etwas von meiner Vergangenheit. So lebte ich viele Jahre, allein, traurig und mit großen Schuldgefühlen. Eines Tages, vor ungefähr zwei Jahren, wurden Plakate in Mistelbach aufgehängt, die einen Vortrag Stefan Urbans ankündigten. Von da an war ich nur noch von einem Gedanken beseelt – ihn wiederzusehen und ihm einige dieser Schuldgefühle aufzubürden. Ich malte mir aus, wie er erschrecken würde, wenn er mich erkannte. Stellte mir seine Angst vor, weil ich seine Schandtaten von früher aufdecken könnte.
Ich mischte mich am Abend des Vortrags unters Publikum, aber er war so mit sich selbst beschäftigt, dass er mich nicht einmal erkannte, als ich ihm gegenüberstand.
Es war für mich ein Leichtes, seine Adresse herauszufinden. Die junge Frau, die in Mistelbach diese Veranstaltungen betreute, war sehr zuvorkommend und gab mir seine Anschrift in Wien und seine Telefonnummer.
Ich grübelte immer wieder darüber nach, wie ich das Treffen mit ihm gestalten wollte, es fiel mir nichts Rechtes ein. Aber jedes Mal stellte ich mir vor, wie ihm der Schreck in die Glieder fahren würde, wenn er mich wiedererkannte. Darüber vergingen mehr als eineinhalb Jahre, in denen ich nichts unternahm.
Und dann, ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, gab ich eines Tages einen Zeitungsausschnitt mit einem jener Skandalfotos in ein Kuvert und schickte ihm eine anonyme Einladung für ein Treffen. Ich wusste ja, dass er Wasser nicht leiden konnte, und daher machte es mir besonderen Spaß, als Treffpunktdie Buddhistische Pagode am Handelskai vorzuschlagen. Ich war mir sicher, dass er kommen würde, weil er ja nicht wissen konnte, wer die Person war, die so viel von ihm wusste, was die Öffentlichkeit besser nicht erfahren sollte. So wie ich ihn in Erinnerung hatte, war ich überzeugt, dass er nach wie vor Dreck am Stecken hatte. Ein Mensch wie er verändert sich nicht.
Ich war viel zu früh am vereinbarten Treffpunkt und wartete am Ufer, etwas abseits vom beleuchteten Tempel. Die Nähe dieses
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