Schaerfer als Wasabi
dass ich ihrem Glück im Weg bin. Dass ich es immer war.“ Nick sah wieder aus dem Fenster und seufzte. „Ich träume oft von meinem Vater, aber ich sehe nie sein Gesicht. Und er ist nicht gerade begeistert, mich zu sehen.“
Katsuro war beeindruckt von Nicks plötzlicher Offenheit. Was er ihm erzählte, machte ihn sehr traurig.
„Das muss sehr schwer für dich sein.“
Nick lächelte gequält. „Du kannst froh sein, eine Familie zu haben und einen Vater, der für dich da ist.“
„Bei uns ist auch nicht alles so perfekt, wie du vielleicht glaubst“, gab Katsuro schulterzuckend zu.
Nick lehnte sich zurück sah ihn erstaunt an. „Wie meinst du das?“
„Mein Vater ist zwar da, aber doch auch wieder nicht. Er wurde sehr traditionell erzogen und gibt ein großes Stück seiner Erziehung an uns weiter. Meist scheint er sehr ernst und unnahbar.“ Katsuro zupfte ein paar imaginäre Fussel von seiner Jeans. „Bei meiner kleinen Schwester merkt man das nicht so, sie ist seine Prinzessin. Aber für mich ist es oft, als wäre er weit, weit weg. Und ich meine nicht weg im körperlichen Sinne, sondern im physischen. Ich kenne ihn eigentlich kaum, weißt du.“
Nick schwieg, sah ihn jedoch neugierig an. „Wenn wir im Dojo sind, ist es anders. Wenn wir zusammen trainieren oder unterrichten, ist es, als wäre dieses unsichtbare Hindernis für eine Weile überwunden. Doch kaum schlüpfen wir wieder in unsere Straßenkleidung, ist er wieder fort.“
Nick wirkte ehrlich betroffen. „Mann … Scheiße. Tut mir echt leid.“
„Schon gut“, antwortete Katsuro. „Aber siehst du, jeder hat seine kleinen, düsteren Geheimnisse.“
„Sieht so aus“, grinste Nick matt. Als er sich nach vorne neigte, fiel ihm eine Haarsträhne ins Gesicht, und Katsuro musste den Reflex unterdrücken, sie ihm zurück hinters Ohr zu streichen. „Apropos Karate. Das scheinst du ja wirklich richtig draufzuhaben.“ Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus, der Katsuro zum Lachen brachte. „Ehrlich. Wie du die Kerle im Park überwältigt hast, war beeindruckend.“
„Danke.“ Katsuro freute sich über Nicks Anerkennung, doch die Nacht im Park rief auch die Erinnerung wach, in welcher Gefahr Nick geschwebt hatte. Nick schien es auch so zu gehen, denn sein Lächeln erstarb und wich einem nachdenklichen Gesichtsausdruck.
„Hey, wenn du Lust hast, dann komm doch am Sonntag einfach mit ins Shotokan-Dojo“, setzte er rasch hinzu, um Nick abzulenken. „Ich trainiere dort am Wochenende die Anfänger.“
„Was für ein Ding?“
„Shotokan-Dojo. Das ist der Name unserer Karateschule.“
„Und was bedeutet das?“, fragte Nick interessiert.
„Wörtlich übersetzt heißt Dojo Ort des Weges . So nennt man die Trainingsräume der verschiedenen Kampfsportarten. Shotokan ist eine der vielen Stilrichtungen von Karate.“
„Wow. Seit wann machst du das eigentlich genau?“
„Seit ich laufen kann. Genau wie Mitsuko, meine Schwester.“
„Was heißt Shotokan?“
„Shoto ist der Künstlername unseres Meisters Gichin Funakoshi, was soviel bedeutet wie Pinienrauschen. Kan heißt einfach nur Haus. Shotokan hieß das erste private Dojo Tokios, das 1936 von ihm eröffnet wurde. Meister Funakoshi schuf die Grundlagen des Karate, so wie wir es heute kennen und in seinem Stil unterrichten wir in unserer Schule noch heute.“
Elf
Als sie in Rosenheim aus dem Zug stiegen, wusste Nick sofort, dass er diese Stadt mögen würde. Hier war es nicht so laut und überfüllt wie in München, und die Menschen erschienen ihm weniger gehetzt und gestresst.
„Komm, wir nehmen uns ein Taxi!“ Katsuro zog Nick am Arm weiter, sie liefen durch eine kleine Bahnhofshalle auf die Straße hinaus, wo mehrere Taxen auf Fahrgäste warteten. Die Fahrt dauerte keine zehn Minuten.
Der Fahrer hievte ihre Taschen aus dem Kofferraum und reichte sie ihnen. Nick folgte Katsuro auf einem schmalen Kiesweg in den Vorgarten eines weiß gestrichenen Einfamilienhauses. Vor den Stufen zur Haustür hielt Katsuro inne und wandte sich zu Nick um.
„Ähm, hör mal ...“ Er kratzte sich verlegen am Kopf. „Meine Mutter und Mitsuko sind total locker drauf, aber mein Vater lebt zum großen Teil die japanische Kultur aus, ich hab dir ja schon ein bisschen was über ihn erzählt. Manches von dem, was für Japaner sehr wichtig ist, mag dir eigenartig erscheinen. Es sind oft Kleinigkeiten. Zum Beispiel, wenn du eine Wohnung betrittst, ziehst du die Schuhe aus und stellst sie so ab,
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