Schaerfer als Wasabi
dass sie mit den Schuhspitzen zur Eingangstür zeigen. Wenn möglich, iss mit Stäbchen, und wenn du ihn begrüßt, verneigst du dich leicht. In Japan wird schnell etwas als Beleidigung aufgenommen.“
Nick spürte, wie ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht wich und er weiche Knie bekam.
„Jetzt machst du mir Angst, Katsuro. Hättest du mich nicht im Zug schon vorwarnen können? Ich weiß gar nicht, wie man diese Stäbchen anfasst, geschweige denn, ob ich mit diesen Dingern essen könnte. Ich glaube, ich war erst ein oder zweimal chinesisch essen … das ist Jahre her.“
Katsuro keuchte auf, seine Augen weiteten sich. „Erwähne ja kein chinesisches Essen! Wir Japaner reagieren sehr gereizt auf diesen Vergleich.“
Nick musste ein furchtbar ängstliches Gesicht gemacht haben, denn Katsuro prustete los und tätschelte ihm die Schulter. „Ach komm schon, Nick. Niemand wird dir den Kopf abreißen. Sei einfach so, wie du bist, und guck ein bisschen auf mich, ja? Ich helfe dir.“
Nick verdrehte die Augen. „Na toll, da geht’s mir gleich besser.“
Katsuro schloss die Haustüre auf, Nick folgte ihm in den Flur. An dessen Ende führte eine Treppe hinauf, doch Katsuro drückte die Klingel im Erdgeschoss.
„Mein Appartement befindet sich oben.“ Katsuro deutete mit einem Kopfnicken zur Treppe. „Zeig ich dir nachher.“
Die Türe wurde geöffnet, ein schwarzhaariges Mädchen mit kinnlangem Haar und einem strahlenden Lächeln öffnete die Tür.
„Katsuro!“ Sie fiel ihm sofort um den Hals, und er drückte sie an sich. Ihr Blick fiel auf Nick, plötzlich wirkte sie schüchtern.
„Mitsuko-chan [1] , das ist Nick, ein Freund von mir“, stellte ihn Katsuro vor und trat zur Seite.
„Hi Mitsuko.“ Nick hielt ihr die Hand zum Gruß hin, im letzten Moment fielen ihm Katsuros Worte ein und er verneigte sich steif. Mitsuko fing zu kichern an und er kam sich vor wie der letzte Idiot.
„Mitsuko!“ Katsuro blickte seine Schwester warnend an. Sie griff nach Nicks Hand und deutete ebenfalls eine Verbeugung an.
„Hallo“, sagte sie schüchtern, als eine Frau hinter ihr erschien. Sie umarmte Katsuro und begrüßte Nick mit einem freundlichen Lächeln.
„Ich bin Anna, Katsuros Mutter“, stellte sie sich vor. In ihrer Jeans und einem grauen Kapuzen-Sweatshirt wirkte sie sehr jung, ihre dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. „Kommt doch rein.“
Als sie ins Wohnzimmer kamen, hatte Nick das Gefühl, eine andere Welt zu betreten. Der Raum war hell durchflutet, an den Wänden hingen Bilder mit japanischer Kalligraphie oder Zeichnungen von Geishas oder Samuraikriegern. Außer einem niedrigen, großen Tisch, um den sich ein Dutzend hellgrüne Bodenkissen reihten, einer Kommode und einer Vitrine gab es hier kaum Möbel. Und doch war die Atmosphäre warm und wohnlich. Ein halbes Dutzend Bodenvasen und Buddhastatuen auf dem kirschholzfarbenen Parkett machten das Bild perfekt. Der Tisch war bereits gedeckt, aus einer Stereoanlage drangen asiatische Klänge.
„Wo ist Vater?“, fragte Katsuro, während er sich umsah.
„Er holt Herrn Masamori und Herrn Takada ab. Marion und Tobi werden auch gleich da sein“, antwortete seine Mutter, dann wandte sie sich an Nick. „Tobi ist mein Bruder. Er und seine Frau feiern heute mit uns den Geburtstag unseres Kaisers Akihito.“
Nick lächelte. „Katsuro hat mir davon erzählt.“
„Mein Mann hat noch Bekannte eingeladen, sie müssten bald kommen. Wollt ihr schon mal etwas trinken?“
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Sie setzten sich auf die Bodenkissen, Anna goss ihnen Mineralwasser ein.
„Und du bist also einer von Katsuros Mitbewohnern?“, fragte sie Nick und musterte ihn abschätzend. „Ich darf doch du sagen, oder?“
„Natürlich“, antwortete Nick. „Ja, wir wohnen in derselben WG, und ich studiere ebenfalls Sport.“
Katsuros Mutter wollte gerade antworten, als sich Mitsuko neben sie setzte und Nick eingehend musterte.
„Machst du auch Karate?“
Nick schüttelte den Kopf.
„Nein, aber ich habe in diesem Semester einen Selbstverteidigungskurs begonnen.“
„Pfff … Pippifax!“ Mitsuko rümpfte die Nase und reckte stolz das Kinn.
„Mitsuko!“ Anna blickte sie tadelnd an. „Sei nicht so frech.“
Katsuro lachte und strich seiner Schwester über den Kopf. „Wir nehmen Nick mal mit ins Dojo, dann sieht er, wie man sich richtig verteidigt, stimmt’s?“
Sie strahlte ihren großen Bruder an und nickte. „Ja, dann sieht er es ja selber.“
Nick grinste.
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