Schafkopf
es war tief und leer. Jetzt fiel der Hans hinein. In ein langes, grenzenloses, zeitloses Loch.
Und irgendwie war jetzt der Hans der Depp. Denn er hatte von seinem Vater nicht nur das Loch, sondern auch die Liebe zu Fürth geerbt. Oder auch nicht, das ist nicht so leicht zu ergründen.
Für Hans wuchs die Liebe zu Fürth anders. Sie war eine Reaktion. Er selbst würde das so erzählen: Als Kind lag er oft auf dem Boden, gemütlich auf dem Bauch, las Zeitung und träumte sich weg. Und las auch immer den Sportteil. Aber in der Zeitung, da war etwas, was ihn störte, was ihm aufstieß, ganz innen drin: Auf der ersten Seite stand immer der Club. Wie er wieder gewonnen hatte oder verloren, abgestiegen war oder aufgestiegen, und wie seine Spiele wieder schlecht waren, stümperhaft oder pomadig. Zwei Seiten nur Club, Club, Club. Erst auf der dritten Seite kam Fürth. Auch nur auf einer halben Seite. Dabei spielten sie oft in der gleichen Liga. Das ging Hans gegen den Strich. Es war für ihn ungerecht. So schloss er die Fürther ins Herz. Nahm sie in Schutz, ganz für sich. Er machte das ganz bewusst und konnte sich doch nicht dagegen wehren. Wie ein freiwilliger Zwang. Ich will das, es zwingt mich, ich muss das jetzt tun. Ich bin das, und das ist richtig. Das war die unentrinnbare Mechanik. Für Hans war sie stimmig, stand so nie zur Diskussion. Das war er, und so erlebte er sich.
Der Vater war tot. Er, Hans, aber lebte weiter. Und lebte weiter so. Da gab es nicht viel zu bedenken. Er hielt sich für einen Gerechten. Daraus bezog er Kraft. Nur mit dieser Kraft war das Loch zu schließen, das der Vater ihm hinterlassen hatte.
Nach dem Tod des Vaters kam Hans in ein Heim.
»Identifizieren Sie sich nicht mit Ihrer Arbeit.
Vergewissern Sie sich, dass der Schwerpunkt
Ihres Lebens woanders liegt.
Nur dann werden Sie in der Lage sein,
die Angriffe, die Ihnen ins Haus stehen,
fröhlich und selbstsicher zu bewältigen.«
Paul Feyerabend
7. Kapitel
Später Nachmittag des gleichen Tages, Polizeipräsidium Nürnberg am Jakobsplatz. Kommissar Friedo Behütuns machte mit seinem Team eine erste Bestandsaufnahme. Draußen hatte es sich zugezogen, es würde wohl eines der angekündigten Gewitter geben. Wie hatte es der Wetterochs in seiner Mail zum Tag geschrieben? »Wir werden wohl mit vereinzelten Gewittern rechnen müssen, und was das heißt, ist klar: Über Fürth wird sich etwas zusammenbrauen, über Nürnberg wird sich wieder alles entladen, und in Erlangen hört man nur das Gegrummel. Für Nürnberg heißt das wahrscheinlich wieder einmal vollgelaufene Keller, unpassierbare Unterführungen, Verspätungen bei der Bahn. Dies ist aber mit der gebotenen Vorsicht zu genießen und durch keinerlei verfestigbare Prognose gestützt – es ist ein reiner Erfahrungswert. Weil's immer so ist.« Er hatte wohl wieder einmal recht. Erfahrung schlägt ganz einfach die Wissenschaft.
»Den Kellerwirt haben sie nicht mehr zurückgeholt. Haben es nicht mehr geschafft. Aber die Rippen haben sie ihm gebrochen beim ersten Reanimieren. Knackknackknackknack hat's gemacht, so richtig schön in Reihe, ich hab es genau gehört. Kein schönes Geräusch, das tut richtig weh. Aber der war zu diesem Zeitpunkt wohl auch fertig mit der Welt. Wollte nicht mehr zurück. Und es war wirklich kein schöner Anblick. Für uns heißt das: Wir können ihn nicht mehr befragen. Irgendetwas wäre ihm sicher noch eingefallen, irgendetwas Ungewöhnliches. Da hätte ich drauf gewettet. Aber lasst uns der Reihe nach machen. Was haben wir bisher? Irgendjemand irgendwas Neues?« Behütuns drehte sich schon wieder eine Zigarette. Beruhigungsübung. Ein Zeichen für seine Anspannung.
Die Frage war an alle gerichtet, Dick aber hatte er zuletzt angeschaut. Deshalb wohl antwortete dieser als erster. Peter Dick. Im Grunde ein ruhiger Typ. Korpulent, ehemaliger Szenekneipenwirt. Er würde auch als Türsteher durchgehen. Ein muskulöses Kraftpaket und eigentlich ein richtiger Kumpel. Wenn er jemanden mochte, und eigentlich mochte er jeden irgendwie, dann nahm er ihn in Schutz. In seiner Gegenwart fühlte man sich sicher. Nur wenn ihm einer blöd kam, so richtig blöd, dann konnte er explodieren. Und das kam bei der Klientel, mit der er bei der Polizei manchmal zu tun hatte, durchaus öfter vor. Wenn er irgendwelche fiesen und verlogenen Kreaturen vor sich hatte, dann konnte es passieren, dass er laut wurde. Schlagartig laut, sehr laut. Nie handgreiflich, das brauchte er nicht, das
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