Schafkopf
penible Seite wie für das Zuspätkommen. Nur dass er mit Letzterem immer Probleme hatte. Aber das eine hing ja mit dem anderen zusammen.
Klar, so ein Verhalten hat auch Vorteile, dachte sich Behütuns. Du fällst nie vorschnelle Urteile, und alles, was schnell geht, ist dir suspekt. Zutiefst. Der Nachteil wiederum ist, dass du von Misstrauen gegen alles und jeden geplagt bist. Nichts kann so sein, wie es ist, denn überall muss es noch ein Dahinter geben. Und dem musst du erst auf die Spur kommen. Tja, und so verlierst du vor lauter Denken, Prüfen und Überprüfen und nochmaligem Hinterfragen und Nachfragen ganz einfach den Anschluss, und alle laufen dir davon. Außerdem wirst du anfällig für Verschwörungstheorien gegen alles und jeden. Gleichzeitig jedoch wirst du gerecht. Denn wenn für dich alles immer nur vorläufig ist, alles immer nur ein Zwischenstand, dann kannst du auch nie jemanden verurteilen. Abschließend, also endgültig. So war Peter Jaczek einer der ganz Wenigen, die bis zu diesem Tag den alten Berti Vogts bis aufs Messer verteidigten. Und hier gaben ihm auch noch die Zahlen recht: Vogts war, an seinen Siegen gemessen, einer der erfolgreichsten Bundestrainer, den Deutschland je hatte. Aber trotzdem: Vogts?
Natürlich hat solch eine Seelenlage auch Nachteile, und zwar eindeutig im Bereich des Humors. So gab es niemanden, der Jaczek einmal so richtig frei heraus hatte lachen hören oder sehen. Das Höchste, was von Jaczek kam, war allenfalls ein unterdrücktes »Tssss …« oder ein aus der Nase strömendes »Chhhrrr …«, wenn andere längst vor Lachen brüllten. Weil: Hinter jedem Witz konnte – nein: musste! – eine Wahrheit stecken. Eine Wahrheit, die immer auch eine Gemeinheit, meist eine Ungerechtigkeit war. Und die war erst noch zu ergründen und daraufhin zu überprüfen, ob denn dann noch ein Lachen statthaft sei. So hatte alles in sich eine Logik. Trotzdem war Jaczek unterm Strich ein hochpatenter Kerl, und Macken hat doch schließlich jeder …
Verrückt, wie viel einem zwischen einer Frage und der Antwort durch den Kopf gehen konnte, dachte Behütuns, als Jaczek antwortete:
»Das Trikot war ein Trikot des Clubs. Und zwar von dem Spieler Suess, Rückennummer 19. Größe XL. Aaron Suess. Bekommt man im Fanshop oder im Internet. Es wird wahrscheinlich nicht allzu häufig verkauft. Ich bin dran. Pikant: Suess kam von der Spielvereinigung. Vielleicht ein Hinweis … Aber wie gesagt: Ich tappe noch völlig im Dunkeln, deshalb bitte nichts von dem Bisherigen nach draußen! Übrigens: Suess spielt im Mittelfeld. War ein ganz guter Einkauf. Außerdem …«
»Okay«, unterbrach ihn Behütuns. Er wollte jetzt nicht ins Detail, und die Gefahr bestand. Jaczek musste man oft unterbrechen, er holte die halbe Stunde nie ein.
»… außerdem«, ließ Jaczek sich nicht beirren, »sind solche Wechsel heute völlig normal. Judt, Eigler, Yasar. Oder andersherum, also vom Club zu Fürth: Weiser, auch wenn's bei dem nur die zweite Mannschaft war – da kräht keiner mehr hinterher. Nicht so wie 1920 oder ‘30, als man sich spinnefeind war und …«
Behütuns war es jetzt genug. Wenn Jaczek erst einmal begänne, sein ganzes Wissen auszupacken … – und danach sah es aus. Er unterbrach ihn wieder, dieses Mal etwas bestimmter im Ton.
»Zurück zum Trikot. War das irgendwie beschädigt?«
»Es war blutgetränkt.«
»Und sonst?«
»Nichts. Es wurde dem Opfer ganz offensichtlich erst nach der Explosion in den Bauchraum gestopft.«
Behütuns verzog das Gesicht. »Ja, pfui Deifi, das ist ja widerlich. Wie muss denn jemand drauf sein, der so etwas tut?«
»Ich denk, so wie einer, der einen anderen mit ‘ner Mine im Bauch sprengen kann.« Abend hatte das gesagt, Peter Abend, der vierte Mann im Raum. Und der dritte mit dem Vornamen Peter. Deshalb wurde die Truppe Behütuns von den Kollegen auch »Peterlesboum« genannt. Was aber keiner wusste: Auch Behütuns hatte den Vornamen Peter. Friedemann Joseph Peter Behütuns. Kein Mensch durfte das je erfahren. Dieser Name war einfach zu blöd. Aber sein Vater und dessen Bruder hießen nun einmal so. Joseph und Peter. Da war nichts zu machen.
»P. A., wie sieht's mit den Spuren aus?« Peter Abend nannte man hier P. A., Peh-Ah.
P. A. war der Youngster im Team. Und der einzige ohne Haare. Ihn zierte eine glänzende Glatze – die Flucht nach vorne vor einem mönchsartigen Haarkranz. Aber sie stand ihm gut. Genauso wie bei Jaczek oder Dick wusste man
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