Schafkopf
und er benötigte seither am Morgen nicht erst drei Zigaretten, um sein Hirn hochzufahren. Nur nach 18 Uhr machte er hin und wieder eine Ausnahme. Wenn man schon lange arbeiten muss, sagte er. Der Himmel hatte sich weiter zugezogen, es grummelte laut, erste Böen fegten gegen das Haus. Sie bliesen den Rauch sofort zurück ins Zimmer. Die Unterseite der Wolken schien fast schwarz, der Horizont hinten, über den Dächern am Ende der Straße, aber schon wieder hell. Wird schnell vorbei sein, dachte er sich. In einer Plastiktüte drunten hatte sich der Wind verfangen, sie hochgehoben. Schon trieb sie auf Höhe des ersten Stocks. Klar und laut flötete eine Amsel vom First gegenüber, wie Amseln so oft, wenn sich Regen ankündigt. Es würde wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis das Unwetter loslegte. Nach nur zwei Zügen machte Behütuns die Zigarette wieder aus, schloss das Fenster und setzte sich auf die Tischkante zu den anderen.
»Das kann auch einer allein gewesen sein«, sagte P. A.
»Ja«, gab ihm Dick sofort recht. »Das kann ein einzelner schaffen.«
»Ich wäre mir da nicht so sicher«, wandte Jaczek nachdenklich ein. Niemand hatte etwas anderes erwartet. Und keiner antwortete darauf. Denn was einer Nachfrage gefolgt wäre, das wusste jeder genau: ein langer Vortrag über die Fürs und Widers, sehr fundiert und bis ins Kleinste durchdacht. Darum ging es hier aber nicht. Einfache Frage, einfache Antwort. Kann es einer allein? Kann. Also: Ja. Alles andere würde sich zeigen.
Behütuns saß auf der Tischkante. »Also gut, wir haben noch nicht viel. Erst mal scheinbar saubere Arbeit. Doch da kommen wir schon dahinter. Aber was haben wir sonst bisher: Die Klamotten geben nichts her. Noch nicht. Der Mann ist uns noch unbekannt, seine Identität werden wir jedoch schnell herausfinden. Wie er dorthin gekommen ist … – glaube kaum, dass wir das so schnell herausbekommen. Sieht doch alles sehr professionell aus. Aber lasst uns mal spekulieren. Ich sehe erst einmal zwei Dinge: Das Trikot und die Mine. Und gehen wir einmal davon aus, dass sich das bestätigen wird mit der Mine. Die faseln ja keinen Unsinn in der Medizin. Doch bleiben wir erst beim Trikot. Das ist doch eindeutig ein Zeichen, oder nicht? Irgendeine Botschaft muss das ja sein. Warum sollte es sonst in den Eingeweiden stecken? Oder es ist ganz bewusst eine Fehlspur. Beides denkbar. Allerdings – wenn's eine Fehlspur ist, brauchen wir nicht zu spekulieren. Das muss sich dann erst herausstellen. Wir müssen also erst mal davon ausgehen, dass es Bedeutung hat. Wie war das noch mal, Jaczek?«
Fußballexperte Jaczek war eigentlich schon immer Inhaber einer Dauerkarte im Stadion, leidgeplagt mit seiner Liebe zum Club und deshalb auch vielfach Opfer des Spotts der Kollegen. Allerdings gab es für ihn auch echte Highlights, gerade in den letzten Jahren. Der Pokal 2007, der gerade noch auf den letzten Drücker geschaffte Wiederaufstieg 2009. Der Klassenerhalt in der Relegation 2010. Auf jeden Fall: Peter Jaczek versäumte kein Heimspiel seines Clubs. Oder versuchte es wenigstens. Und er litt, wenn er eines versäumte. Oft aber auch, wenn er im Stadion war. Seit er die Zweieinhalb-Zentner-Grenze überschritten hatte, saß er auf einem Sitzplatz. Zwei Stunden stehen, alle sind größer als man selbst, und dann kriegt die Mannschaft noch eins auf die Mütze – nein danke, dann lieber im Sitzen. Nordkurve war also nicht mehr.
»Wie gesagt, Suess steht auf dem Trikot. Hinten. Vorn drauf steht der Name Savitas, standardmäßig, das ist der Sponsor des Clubs. Atomkraftunternehmen aus Frankreich. Beziehungsweise Erlangen. Trikot-Größe XL, Rückennummer 19. Suess wurde am 24. Juli ‘86 geboren. Spielte vorher bei Fürth, das macht es, wie schon gesagt, etwas pikant. Denn ihr wisst ja: Nürnberg – Fürth … – die Fans sind sich da nicht so grün.«
Behütuns fing an, Striche aufs Papier zu malen und dachte dazu laut. »Ich spinn mal einfach. Geh mal davon aus, dass das Trikot ein Zeichen ist. Also erstens Suess. Ist der nicht israelischer Staatsbürger? Irgendwas hab ich da noch im Hinterkopf. Jaczek?«
Jaczek tat genervt. »Wollte ich ja vorhin sagen. Aber du hast mich abgewürgt.«
Jetzt schaute Behütuns genervt. »Also was ist?«
»Genau das wollte ich sagen. Suess wurde in Isreal geboren. Ist Jude, hat aber die deutsche Staatsbürgerschaft. Wurde einmal bedroht, anonym. Hat Briefe gekriegt, Anrufe und so. Die Reifen wurden ihm mal zerstochen. Hatte
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