Schafkopf
war wohl der schlechte Geschmack im Mund stärker.
Überall stand Polizei und blasses Volk herum. Der Grund für den schlechten Geschmack im Mund: ein sauber zerfetzter Körper in einem fast ebenso zerfetzten roten Clubtrikot. Es war bizarr. Ein Segelflugzeug mitten auf der Wiese zwischen anderen, nur in der Mitte aufgesprengt, die langen Flügel beide lahm am Boden, die Schnauze vorne weggekippt, das lange Heck genauso, nur leicht auf der Seite, und in der Mitte, wo einmal die Führerkanzel war, Gestänge, Fetzen, Kleidung, Fleisch. Viel Rot.
»Er war gerade eingestiegen, setzte sich zurecht, die Kanzel war noch offen … Wumms!«
Die Sprache sucht die Komik, will sie Schreckliches verdauen und am Leben bleiben, dachte sich Friedo Behütuns. Man kann Gesehenes nicht einfach so beschreiben, vor allem, wenn man es am liebsten nicht gesehen haben will, weil es so schrecklich ist. Wir haben keine Worte für die Bilder, und trotzdem bleiben sie im Kopf und gehen dir nach. Sie rauben dir den Schlaf, die Selbstverständlichkeit, die innere Ruhe. Es dauert lange, bis da etwas drüberwächst, die Bilder kommen immer wieder. Sie blubbern auf, unkontrolliert, rülpsen dich von innen an. Das ist nie mehr zu löschen, vielleicht zu überschreiben, bruchstückhaft, doch im Vergessen wird es nie versinken. Es sei denn, dein Gehirn macht schlapp, zersetzt sich. Das nimmst du mit ins Grab, erst dann ist Ruhe, hoffentlich.
Fett muss der Mann gewesen sein, schloss Kommissar Behütuns aus dem Anblick. Es lag so viel herum. Zumindest reichlich korpulent. Dass sowas fliegen kann, so etwas Schweres – mit so leichtem Gerät. Das Flugzeug nämlich wirkte ziemlich zierlich, fast fragil. Der Kopf des Mannes war seitlich weggesunken, schräg nach hinten, Behütuns lupfte kurz das Tuch, das darüber lag. Er sah nicht gut aus, dieser Mann. Nicht wegen der Verletzungen, sondern einfach so. Es war ein fieses Schweinsgesicht.
Schon fühlte sich Behütuns besser.
Seitlich des Hangars kamen sie dann zur Sache. Sie hatten sich abseits auf eine Biertischgarnitur in die noch kühle Morgensonne gesetzt, ohne Sichtkontakt zum Ort des Geschehens. Behütuns mit dem Rücken an die Wellblechwand.
»Auch das noch!«, stieß Behütuns aus. Die Bank war nass. Der Tau. Sein Hintern war jetzt auch noch feucht. Mit einem Stöckchen kratzte er sich die Sohlen ab, doch der Lös war zäh. Er gab es auf. Zum Autofahren würde er die Schuhe wohl am besten ausziehen, sonst würde er den Dreck im Fußraum auch noch im Winter mit sich herumfahren, er kannte sich.
Zwei Beamte der Bayreuther Polizei waren mit am Tisch, sie waren die ersten am Tatort gewesen, dazu noch ein Herr Soundso, Behütuns hatte seinen Namen gleich wieder vergessen. Aber der war ja irgendwo notiert. Er war auf jeden Fall als Lotse eingeteilt für diesen Vormittag und hatte die Explosion gesehen. Das Opfer heiße Herbert Hölzer, sei Marketingchef drunten bei Dings, na, bei Savitas gewesen, berichtete er beim Befragen. Dieser Atomgesellschaft. Er sei der erste heute auf dem Platz gewesen, er komme immer ganz früh. Sei etwas eigen gewesen, habe nicht viele Freunde gehabt. Ziemlich vulgär im Grunde und laut. Rotzig und überheblich immer, oft schweinisch in den Witzen, ein Angeber, sonst nichts. Im Wesen ziemlich jämmerlich. Nie nett, auch hier oben keine Freunde. Das passte zum Gesicht, dachte Behütuns. Wie unabwendbar doch das Wesen im Gesicht steht, in den Zügen. Aber besessen vom Fliegen, sprach der Lotse weiter. Habe allerdings niemanden an seinen Flieger gelassen, sei auch immer nur allein geflogen.
»Ich selber saß gerade droben im Tower und habe meine Papiere sortiert. Meldungen von gestern, Anmeldungen für heute, Anfragen und so, was halt alles zu tun ist vor Dienstbeginn.«
Zum Wörtchen »Dienstbeginn« machte er mit Zeige- und Mittelfinger beider Hände Gänsefüßchen in die Luft. Der Dienst war wohl mehr ein Hobby.
»Hölzer hat unten an seinem Flieger rumgemacht. Ich grüßte ihn per Lautsprecherdurchsage quer über das Feld, es war ja niemand außer ihm da, ein kleiner Spaß unter Fliegern. Aber er beachtete das gar nicht, nicht die kleinste Regung. So war er halt. Dann stieg er ein, wohl so zur Probe, es war ja noch kein Schlepper da, er hätte gar nicht fliegen können, denn ohne Schlepper kommst du nicht hoch. Und überhaupt, die fliegen erst, wenn Aufwind ist. Nicht morgens, erst ab dem Vormittag.«
Er sah nach unten und zur Seite, als ob er dem, was er jetzt sagen
Weitere Kostenlose Bücher