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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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hier, hallo Dr. Hartung. Ich muss Sie sprechen. Wenn's geht, gleich. Ich bin in einer Dreiviertelstunde bei Ihnen. Geht das?«
    Es ging. Schwierig zu machen zwar, aber für die Polizei …
    »Sagen Sie mir genau, wo ich Sie finde?«
    Behütuns hatte Hartung vom Auto aus angerufen. Ohne Freisprechanlage. Da käme jetzt schon einiges zusammen. Vormittags ein Bier, dann unerlaubte Amtshandlungen, Telefonieren ohne Freisprechanlage … Er wollte gar nicht daran denken.
    Am Klinikum in Fürth wies ihm der Pförtner den Weg. Der beschriebene Bau war ein Doppelcontainer. Eigentlich eher eine Baracke. Behütuns hatte inzwischen überlegt. Vernunft war wieder eingekehrt auf der Autofahrt, die erste Aufregung verflogen. Wahrscheinlich machte er sich etwas vor. Ließ sich leiten von seinem Jagdtrieb und verlor die Realität aus den Augen. Das passierte ihm manchmal, und dann schwor er sich jedes Mal wieder, dass es das letzte Mal sei. Professionell verhielt er sich nicht. Die Fakten, nüchtern betrachtet, waren doch so: Da hatte einer, der zwar bis dahin vom Leben nicht verwöhnt worden war, ein Einser-Abi hingelegt, mit einem Stipendium, und auch das musste man erst einmal kriegen, Medizin studiert und hatte dann, auch das sprach ja für seine außerordentliche Qualifikation, eine Stelle in den Staaten, ja sogar am angesehenen Cambridge Hospital Massachusetts bekommen. Behütuns kannte zwar nur das MIT, das Massachusetts Institute of Technology, aber sicher hatte auch diese Einrichtung einen guten Namen. Natzels Vergangenheit hin oder her – allein an so ein Krankenhaus zu kommen, zeugte doch schon von hoher Integrität. Auch von Willenskraft und deshalb einer inneren Aufgeräumtheit. Oder täuschte er sich?
    Er würde Hartung befragen.
    Die Behindertenrampe stand etwas schräg zur quietschenden Eingangstür, die auch nicht richtig schloss. Sie klemmte. Im Inneren roch es muffig.
    »Na, da haben Sie ja hier einen Palast!«, begrüßte Behütuns den Psychologen. »Kann man denn hier überhaupt denken?«
    »Am Klinikum denkt man nicht, da verwaltet man«, gab Dr. Hartung zur Antwort. »Und dafür sind diese Kisten gerade gut genug. Fördern die Konzentration. Weil man sich von der Umgebung wegdenken muss, sonst ist es nicht zu ertragen.«
    Auch eine Logik, dachte Behütuns.
    Sie gaben sich die Hand, und Dr. Hartung führte ihn einen schmalen Gang entlang in ein Besprechungsabteil. Bei jedem Schritt hatte Behütuns das Gefühl, augenblicklich durch den Blechboden zu brechen. Denn unter der graubeige-schmutzigen Filzauslegeware schien der Boden nachzugeben. Auf dem Tisch des Besprechungsraumes stand altes Gebäck, die Stühle hatten nicht genügend Platz, und es roch nach vortägigem Filterkaffee. Alles hier war in Gelb, Braun und Beige gehalten. Wie alt waren wohl diese Container schon?
    »Ein Wunder, dass Sie Ihren Humor noch haben, bei diesen Bedingungen. Da schimpfen wir immer bei der Polizei, aber das hier ist ja nicht zumutbar.«
    Hartung zuckte die Achseln.
    »Wenn man jeden Tag hier ist, sieht man's nicht mehr.«
    Er sah auf die Uhr.
    »Ich gebe Ihnen eine Stunde, mehr geht leider nicht. Also schießen Sie los.«
    Behütuns erzählte seine Geschichte. Von den Minen und der Dynamit, den Botschaften daran, den Trikots. Von der alten Wirtin und dem, was sie erzählt hatte, von Georg Natzel und dessen Sohn, dass dieser nach Massachusetts sei und er, Behütuns, jetzt nicht weiter wüsste. Zwar habe er einen Verdacht, den er auch äußerte, aber womöglich sei dieser völlig hirnrissig, womöglich verdrehe der Wunsch nach einer Lösung ihm die Wahrnehmung, würde inzwischen zum Motor, und vielleicht sei er selbst jetzt langsam … er bräuchte jetzt einfach eine Einschätzung. Und ein Korrektiv.
    »Könnte es denn sein, dass sich eine Person … – nein, anders: Kann eine Persönlichkeit so verquer strukturiert sein? Ist das überhaupt denkbar?«
    Dr. Hartung war aufgestanden. Er wollte herumlaufen, das sah man, aber der Container war viel zu klein. So stand Dr. Hartung mit dem Rücken zu Behütuns vor den gelblichen Vorhängen und sah zum Containerfenster hinaus. Aber da gab es keinen Baum, keinen Vogel, dem man zuhören konnte, da gab es nur Bagger und eine riesige Baugrube. Und solche Vorhänge konnte man schon nicht einmal mehr kaufen. Es war wirklich trostlos hier.
    Dr. Hartung dreht sich um.
    »Mit Massachusetts kann ich mal etwas versuchen. Oder besser, etwas nicht unversucht lassen. Auch wenn die Chance sicher

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