Schafkopf
grauenhaft. Nicht nur, dass er Sie umbringen wollte, sondern die Aussicht, dass Sie den Rest Ihres Lebens … Das können Sie doch nicht wollen.«
»Was soll ich denn machen?!« Die junge Frau brach offen in Tränen aus.
»Sie müssen etwas machen. Hören Sie? Der Mann bricht Ihnen die Knochen, er versucht, Sie umzubringen. Und er
wird
Sie eines Tages umbringen.« Falcking schien selbst vor den Tränen zu stehen. Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Es muss einen Ausweg geben.«
»Wenn Sie keinen wissen – ich weiß doch auch keinen. Ich kann ihn nur noch … umbringen.« Das letzte Wort war wieder von einem Schwall Tränen begleitet.
Falcking saß still und nachdenklich in seinem Sessel hinter dem Schreibtisch, nestelte an dem Löffel, der in seiner Kaffeetasse steckte, und ließ das letzte Wort seiner Mandantin noch ein wenig im Raum stehen.
»Soll ich Ihnen was sagen? In Ihrem Fall …« Falcking bremste sich.
»Ja?«, fragte die junge Frau nach.
»Verstehen Sie’s nicht falsch. Aber in Ihrem Fall hätte ich fast Verständnis dafür. Ich sag das nicht als Anwalt. Aber als Mensch – ich könnte Sie verstehen.«
Susanne Lintinger starrte vor sich hin und sagte nichts. Auch Falcking sagte nichts, wollte abwarten, wie lange die junge Frau schweigen würde. Je länger sie das tat, desto aussichtsreicher war es, die nächste Stufe zu zünden.
»Sie wissen: Was zwischen Anwalt und Mandant gesprochen wird, unterliegt der absoluten Schweigepflicht. Kein Wort von dem, was wir hier reden, wird jemals dieses Büro verlassen.«
Die Frau nickte.
»Sie müssen mir die Frage, die ich Ihnen jetzt stelle, nicht beantworten. Ich frage nur aus … weil es mich menschlich interessiert.« Er hielt ihren Blick mit dem seinen fest, gab ihr damit zu verstehen, dass sie jetzt gemeinsam ins Reich der Dunkelheit gehen, dort eine verschworene Gemeinschaft sein und in absoluter Ehrlichkeit miteinander reden würden. »Haben Sie …«, hier machte sich ein letztes kurzes Zögern gut. »Haben Sie je ernsthaft daran gedacht, Ihren Freund umzubringen?«
Susanne Lintinger schwieg lange, sehr lange. Ihre Zigarette war bis zum Filter heruntergeraucht. Sie nahm einen letzten Zug und drückte die Glut im Aschenbecher aus. »Ich hab vor ein paar Monaten jemanden kennengelernt.«
»Jemanden, den Sie lieben?«
Sie nickte. »Wenn Peter das herauskriegt, dann bringt er nicht nur mich um. Ich hab wahnsinnig Angst um jemanden, verstehen Sie?«
»Aber Sie werden nie die Möglichkeit haben, mit dem anderen Mann zusammen zu sein.«
»Nein.« Schweigen.
»Wie gesagt, Sie müssen mir die Frage nicht beantworten – haben Sie ernsthaft darüber nachgedacht?«
Sie unterbrach ihn nachgerade verärgert über seine Begriffsstutzigkeit. »Ja natürlich. Ich mein – Sie an meiner Stelle, hätten Sie nicht überlegt, wie’s wär, wenn er tot wär?«
»Natürlich.« Mittellange Pause. »Aber überlegen, wie es wäre, und es wirklich machen wollen, sind zwei verschiedene Dinge.«
Sie sah den Anwalt aus verheulten Augen an. »Wenn ich net so a Angst hätt vor ihm, ich hätt’s schon längst gemacht.« Sie biss sich auf die Unterlippe.
Der Anwalt schwieg, ließ auch diese Pause wirken, um der Mandantin Raum zu geben, tief in sich hineinzuhorchen und dem Gesagten aus dem Reich der verschwommenen Wünsche in die Welt der real existierenden Möglichkeiten hinüberzuhelfen. Nachdem genug Zeit verstrichen war, um Wirkung zu tun, beendete Falcking die Besprechung.
»Tja – ich fürchte, wenn ich dazu mehr sage, verstoße ich nicht nur gegen anwaltliche Standespflichten. Es … es tut mir unendlich leid für Sie, und ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. Ich kann es nicht, wie es aussieht.« Die junge Frau wischte sich eine letzte Träne aus den Augen und bemühte sich um Contenance für eine halbwegs würdevolle Verabschiedung. Falcking begleitete sie zur Tür. Auf dem Weg hinaus versicherte er ihr, dass die Konsultation kostenlos sei. Sollte sie sich doch für den gerichtlichen Weg entscheiden, sei er jederzeit für sie da. Als er ihr die Tür zum Treppenhaus geöffnet hatte, musste er noch einen letzten Gedanken loswerden.
»Sagen Sie …« Er schloss die Tür noch einmal. »Sie haben nie darüber nachgedacht, dass … na ja, jemand anderer … Sie wissen schon?«
Die junge Frau sah den Anwalt irritiert an. Er bezweckte etwas mit der Frage. Aber das, was sie vermutete, war so bizarr, dass es nicht sein konnte. »Warum fragen Sie
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