Schafkopf
»Komm, lass uns gehen. Wir haben keine Zeit mehr.«
»Wir gehen, wenn ich das sage.« Er richtete die Waffe wieder auf Lutz. »Umdrehen, hab ich gesagt.«
Lutz drehte sich um, sein Herz schlug schneller. Er wusste nicht, was Zimbeck vorhatte. Wollte er ihn erschießen? Das Letzte, woran sich Lutz erinnerte, war eine schnelle Bewegung hinter seinem Rücken.
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64 . Kapitel
U m kurz nach halb eins hatten die uniformierten Kollegen, die sofort nach Kreuthners Anruf losgeschickt worden waren, den bewusstlosen Lutz auf dem Boden seines Wohnzimmers entdeckt. Er hatte eine Platzwunde am Hinterkopf und klagte über starke Kopfschmerzen, nachdem man ihn geweckt hatte. Lutz bestand darauf, sofort mit Wallner zu telefonieren, und fuhr mit den Kollegen nach Miesbach, wo man ihn provisorisch verarztete. Wallner hatte alle Kollegen an den Straßensperren von der veränderten Situation unterrichtet und auch die Rosenheimer verständigt. Von Fischbachau war es nicht mehr weit in den Landkreis Rosenheim und ins Inntal, von wo aus man schnell in Österreich war. Allerdings führte eine recht übersichtliche Zahl von Straßen über die Grenze. An normalen Tagen hätte man Hubschrauber aufsteigen lassen. Die hätten den gesuchten Wagen in kürzester Zeit gesichtet. So aber konnte sich Zimbeck im Landkreis bewegen wie ein Fisch in einem milchig trüben See. Niemand wusste, wo er war. Man musste darauf hoffen, dass er in eine der Straßenkontrollen geriet.
Wallner hatte eine Krisensitzung im engeren Kreis anberaumt. Janette, Tina und Mike waren im Büro. Und auch Lutz war trotz Platzwunde und Gehirnerschütterung dabei. Zimbeck hatte Susi in seiner Gewalt und war seit etwa vierzig Minuten unterwegs. Lutz, halb wahnsinnig vor Sorge, wollte wissen, wie der Stand der Dinge war. Im Augenblick blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. Es gab nur einen einzigen Anhaltspunkt: Zimbeck hatte vergessen, Lutzens Handy auszuschalten. Man konnte ihn daher grob orten und wusste, dass er nicht in Richtung Rosenheim und Inntal unterwegs war, sondern nach Westen fuhr. Wallner ließ die Polizeikräfte aus dem Osten des Landkreises in den Westen verlegen. Aber das brachte zunächst wenig. Denn man kam wegen des Nebels höchstens so schnell wie Zimbeck voran, konnte ihm also nicht zuvorkommen oder den Weg abschneiden. Das Telefon läutete. Es wurde gemeldet, dass Zimbeck zwischen Gmund und Tegernsee eine Straßensperre durchbrochen hatte. Bei der anschließenden Verfolgung sei ein Streifenwagen mit einem Reisebus kollidiert. Zimbeck sei im Nebel verschwunden und auf dem Weg nach Süden.
Es gab nur eine Möglichkeit für Zimbeck, aus dem Tegernseer Tal zu entkommen: Er musste über den Achenpass nach Tirol fahren. Aber der Achenpass war ein Nadelöhr. Zwar hatten sie hinter Tegernsee keine Einsatzkräfte mehr. Aber die österreichischen Kollegen aus Achenkirch wurden auf Zimbecks Ankunft vorbereitet, und man schärfte ihnen ein, mehr als einen Streifenwagen an der Straße zu postieren. An und für sich konnte man jetzt in Ruhe abwarten, bis Zimbeck ins Netz ging. Doch genau das machte Wallner nachdenklich. Zimbeck wusste, dass er nicht über den Achenpass kommen würde, ohne verhaftet zu werden. Der hatte was anderes vor.
Eine Viertelstunde später glitten zwei Polizeifahrzeuge langsam durch den Nebel. Kreuthner saß am Steuer, Mike auf dem Beifahrersitz, Lutz im Streifenwagen hinter ihnen, der von Holl gesteuert wurde. Sie trugen bergfeste Schuhe, und Mike hatte in aller Eile ein paar Rucksäcke organisiert, in die man Wasserflaschen, etwas Proviant und einen Pullover packen konnte. Wallner und seine Leute waren nach Analyse aller bekannten Fakten zu der Vermutung gelangt, dass Zimbeck zu Fuß über die Grenze nach Tirol wollte. Das ging nur, indem er die Blauberge überquerte.
Wallner, auf der Rückbank, nutzte die Fahrt, um sich auf seinem Laptop noch einmal das Tatortvideo anzusehen.
»Komm, Kreuthner, denk mal nach«, sagte Wallner, während er vorspulte. »Du kennst den Zimbeck am besten. Wo will der hin?«
»Keine Ahnung. Nach Österreich.«
»Aber nicht übern Achenpass. So dumm ist der nicht.«
»Wo will er sonst hin? Du kannst in der Richtung nur übern Achenpass.«
»Vielleicht will er sich irgendwo verstecken und ein paar Tage abwarten. Wir können die Straßenkontrollen ja nicht ewig stehen lassen.«
»Dann braucht er einen Unterschlupf. Um die Jahreszeit kannst net draußen übernachten. Und dann hat er noch die
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