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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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er das Thema nicht vertiefen.
    »Es ist irgendwas Schlimmes passiert, stimmt’s?«
    Wallner betrachtete Vera Kampleitners Gesicht. Es hatte mit einem Mal weichere Züge. Ihre dunkelbraunen Augen waren auf Wallner gerichtet und hofften auf eine Antwort. Ihre Lippen waren nicht ganz geschlossen, was die Rundung ihrer wohlgeformten Unterlippe verstärkte. »Es war ziemlich dramatisch damals. Aber es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden.«
    »Natürlich nicht. Verzeihung. Darf ich nur eine Frage stellen?«
    Wallner nickte.
    »Lebt sie noch?«
    »Ja«, sagte Wallner. »Sie lebt noch.«
    In diesem Augenblick klingelte Vera Kampleitners Handy. Sie sah auf das Display, entschuldigte sich, stand auf und ging ein paar Meter vom Tisch weg. Wallner winkte die Bedienung herbei und bezahlte die Rechnung. Während er darauf wartete, dass die Münchner Kollegin ihr Telefonat beendete, hörte er Gesprächsfetzen. Vera Kampleitner sagte, sie sei in Miesbach und könne erst in einer Stunde da sein. Die Person, mit der sie sprach, solle einen Roland anrufen und, falls sie ihn nicht erreiche, einen Krankenwagen.
    Beim Verlassen des Lokals fragte Wallner: »Kann ich Ihnen helfen? Ich habe ein bisschen was von Ihrem Telefonat mitbekommen.«
    »Nein danke. Ist nett von Ihnen. Aber ich komme allein klar. Es ist ein bisschen wie mit Ihrem Großvater.«
    Sie gingen zu Vera Kampleitners Wagen, der dem Lokal gegenüber geparkt war.
    »War das
Ihr
Großvater?«
    »Meine Exschwiegermutter. Sie ist in ihrer Wohnung hingefallen, und der Knöchel tut ihr weh. Sie hat Angst, dass sie sich was gebrochen hat.« Auf Wallners fragenden Blick fügte Vera Kampleitner hinzu: »Ich habe mich vor zwei Jahren scheiden lassen. Aber meine Schwiegermutter habe ich irgendwie behalten. Läuft manchmal blöd im Leben.«
    »Verstehe«, sagte Wallner. Sie waren bei ihrem Wagen angekommen. »Es wird Sie vielleicht erstaunen, das zu hören, aber ich würde mich freuen, Sie wiederzusehen.«
    Vera Kampleitner lächelte ihn an. »Ich komme gern wieder. Viel Erfolg bei den Ermittlungen. Und grüßen Sie mir Ihren Großvater.«
    Wallner sah dem Wagen nach, der in die Nacht fuhr. Im Gegenlicht konnte er erkennen, dass sie ihre Haare jetzt offen trug.

[home]
20 . Kapitel
    A ls sich Wallner dem kleinen Haus näherte, in dem er mit seinem Großvater Manfred lebte, schoss ein eisiger Wind durch die nächtlichen Straßen der Siedlung. Es war schon einiges Laub gefallen, das jetzt aufgestoben wurde, im Kreis wirbelte und Wallners Hosenbeine umtanzte. Ab und an traf ein Regentropfen sein Gesicht, oder ein besonders dreistes Eislüftlein stahl sich in den Kragen seiner Daunenjacke.
    Wallner war zu den Großeltern gekommen, als sein Vater im Jahr 1977 nach Venezuela ging und nicht mehr zuückkehrte. Ob ihm etwas zugestoßen war oder ob er nur nichts mehr mit seiner Vergangenheit zu tun haben wollte, wusste niemand. Wallner war zu dieser Zeit acht Jahre alt gewesen. Da Wallners Mutter schon 1971 bei einem Badeunfall im Tegernsee gestorben war, hatten sich die Großeltern seiner angenommen. Mittlerweile lebten nur noch Wallner und sein Großvater im Haus. Über Wallners Großmutter wurde, obwohl sie noch lebte, nicht gesprochen. Sie wurde behandelt wie eine entfernte Verwandte, die man im Lauf der Jahre vergessen hatte.
    Manfred war nicht im Haus und hatte im Schwedenofen nur ein schwelendes Brikett hinterlassen. Und das musste etliche Stunden her sein. Zwar glomm noch Glut, aber Wärme gab so ein sterbendes Stück Braunkohle nicht mehr ab. Wallner kontrollierte das digitale Thermometer auf dem Fernseher. Der außen neben der Haustür angebrachte Sensor meldete vier Grad über null, während die Raumtemperatur im Wohnzimmer auf bedenkliche neunzehn Grad gesunken war. Wallner legte zwei Buchenscheite auf das Brikett und stellte die Belüftungsschlitze auf Durchzug. Es dauerte nicht lang, da züngelten die ersten Flammen an den Scheiten empor, und Wallner wurde schon beim Anblick wärmer im Leib.
    Er ergötzte sich noch eine Weile am Spiel der Flammen. Dann wagte er es, die Daunenjacke auszuziehen, und setzte sich in einen Sessel vor den Schwedenofen. Kurz darauf kam von der Haustür ein metallisches Schaben. Manfred war heimgekehrt und versuchte, den Schlüssel ins Schlüsselloch zu bugsieren. Das verlangte ihm viel ab, denn Manfred litt nervenbedingt unter einem Zittern, das ihm in mancher Hinsicht das Leben erschwerte. Wallner überlegte eine Sekunde, ob er

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