Schafkopf
Manfred und daran, dass er nicht ans Telefon ging. Auch sonst hatte der Alte ein bisschen was von Wallners Großvater. Offenbar erzählte er dem Mädchen lustige Sachen, denn das Mädchen lachte immer wieder. Es handelte sich zweifelsohne um einen rüstigen Greis, der junge Frauen zum Lachen bringen konnte. Auch Manfred konnte das, musste Wallner denken, und er empfand ein Gefühl der Wehmut und Wärme. Aber auch der Angst. Manfred ging nicht ans Telefon.
»Der alte Herr erinnert Sie an Ihren Großvater?«, fragte Vera Kampleitner.
»Ja. Er hat viel von ihm. Man könnte fast sagen …« In diesem Augenblick drehte sich der alte Mann in Richtung Wirtshaus und man konnte sein Gesicht erkennen. Wallner erstarrte.
»Was ist?«, fragte Vera Kampleitner.
»Das … das ist mein Großvater!«
»Oh … und wer ist die junge Frau?«
Wallner starrte mit offenem Mund aus dem Fenster. »Das … würde ich auch gern wissen.«
Während des Essens unterhielten sich die beiden über neutrale Themen. Wie es etwa im Landkreis Miesbach um die Kriminalität bestellt sei. Gut, meinte Wallner, in dem Sinne, dass immer etwas zu tun sei für die Polizei. Morde natürlich eher selten. Aber da sei ja auch München zur Provinz verkommen. Keine zehn Stück pro Jahr. Dafür könne man in München nicht mehr U-Bahn fahren, ohne Leben und Gesundheit zu riskieren.
Als Vera Kampleitner ihren Schweinsbraten einschließlich zweier Knödel vollständig aufgegessen hatte und auch Wallner mit seinem Hirschgulasch fertig war, man der Bedienung versichert hatte, es sei ausgezeichnet gewesen, und dankend die Entgegennahme der Nachtischkarte verweigert hatte, fragte Vera Kampleitner Wallner, warum er mit seinem Großvater zusammenlebe.
»Hat sich so ergeben. Er hat allein in dem Haus gewohnt. Und ich war gerade auf der Suche nach einer Bleibe, nachdem …« Wallner zögerte. »Nachdem ich meine alte Wohnung aufgeben musste.«
»Nach der Scheidung?«
»Wie kommen Sie auf Scheidung?«
»Sie wohnen mit Ihrem Großvater zusammen. Es scheint aber keine Frau zu geben, sonst würde sich die ja um Ihren Großvater kümmern, während Sie weg sind. Andererseits machen Sie nicht den Eindruck, als hätten Sie noch nie eine Frau abgekriegt. Des Weiteren ist zu bedenken, dass Sie ein pedantischer bis spießiger Kontrollfreak sind. Daraus schließe ich: Wenn Beziehung bei Ihnen, dann richtig. Also haben Sie irgendwann einmal geheiratet. Da die Frau weg ist – na ja, der Rest ist nicht schwer.«
Wallner sah sie mit einer gewissen Verblüffung an. Vera Kampleitner zog die Augenbrauen hoch.
»Haben Sie mal daran gedacht, zur Kripo zu gehen? Die suchen Leute mit Kombinationstalent.«
»Also geschieden. Schon lange her?«
»Ein paar Jahre.«
»Lassen Sie mich raten: Ihre Frau hat Ihren Kontrollwahn nicht mehr ausgehalten und die Sache beendet.«
Wallner schwieg für ein paar Sekunden, blickte auf die Tischplatte, fegte ein paar Krümel mit der Hand weg. Erinnerungen kamen in ihm hoch. »Kann sein«, sagte er leise. »Ich bestell dann mal die Rechnung, wenn das für Sie okay ist.«
»Ja, ja«, sagte sie. Wallner lächelte verkrampft und holte sein Portemonnaie aus der Hose. Vera Kampleitner holte ihres aus der Handtasche und legte es vor sich auf den Tisch.
»Lassen Sie. Ich mach das«, sagte Wallner. Sie wollte protestieren, aber er schnitt ihr das Wort ab. »Das ist in Ordnung. Wirklich. Sie haben Ihren Sonntag geopfert, um uns zu helfen. Solche Leute bekommen in Miesbach immer einen Schweinsbraten umsonst.«
»Na ja, eigentlich wollte ich mein Equipment ausprobieren und hab ohne zu fragen über Ihre Mitarbeiterin verfügt. Worauf Sie allerdings ein bisschen überzogen reagiert haben. Ich wollte das nur nicht unerwähnt lassen. Aber egal, worauf ich hinauswill, ist …« Sie stockte und sah Wallner bekümmert an. Wallner war sichtlich verwirrt über ihren Redefluss. »Es tut mir leid«, sagte sie schließlich.
»Wegen heute Morgen? Ach was. Machen Sie mir ein schönes Video, und die Sache ist vergessen.«
»Nein. Ich meine, was ich über Ihre Scheidung gesagt habe. Das hätte ich nicht sagen sollen.«
»Kein Problem. Ich hab das nicht so ernst genommen. Ich meine, wir reden, seit wir uns begegnet sind, in diesem Ton miteinander.«
»Ja. Aber ich hatte bis jetzt nicht das Gefühl, Sie ernsthaft zu verletzen. Bis ich das über Ihre Scheidung gesagt habe.«
Wallner schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Es stimmte. Andererseits wollte
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