Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
Vom Netzwerk:
Speisekarte vor sich.
    »Die bunten Herbstsalate mit der Himbeervinaigrette gibt’s wirklich«, sagte Vera Kampleitner. »Sie haben ein gutes Gedächtnis.«
    »Nein. Ich habe das geraten. Das steht auf jeder Speisekarte. Wo lesen Sie das übrigens?«
    Vera zeigte ihm ihre Karte. Wallner sah kurz hin und suchte dann in seiner eigenen Karte nach der Fundstelle. »Tatsächlich. Da hinten ist ja noch eine ganze Seite mit Salaten.«
    »Bis dahin sind Sie noch nie gekommen?«
    »Nein. Ich schau mir immer nur die Seite an, wo sie Braten, Zigeunerschnitzel und Holzfällersteak haben. Weiter musste ich noch nie blättern.«
    »Was ist hier besonders zu empfehlen?«
    »Der Schweinsbraten ist zart und saftig mit einer fetten, sämigen Dunkelbiersoße. Dazu können Sie einen oder zwei Kartoffelknödel bestellen, die haben die Größe einer kleinen Honigmelone und obendrauf in Butter geröstete Semmelbrösel.« Wallner musste schlucken, so hatte ihm sein eigener Vortrag Appetit gemacht.
    »Klingt ja unglaublich lecker.« Eine gewisse Ironie in Vera Kampleitners Worten war nicht zu überhören.
    »Ich nehme nicht an, dass in diesem Gericht irgendetwas drin ist, wonach Ihr sportgestählter Körper verlangt.«
    »Es ist in Deutschland, glaube ich, verboten, Vitamin C ins Dunkelbier zu tun.«
    Wallner gab durch eine Geste zu verstehen, dass er das auch annahm. »Nein, dann ist nichts drin«, sagte Vera Kampleitner.
    Als die Bedienung kam, bestellte Wallner ein Hirschgulasch, während Vera Kampleitner noch unschlüssig mit dem Zeigefinger die Salatkarte runter- und wieder hinauffuhr und schließlich sagte: »Ich probier mal den Schweinsbraten.« Wallner staunte. »Zwei Knödel bitte«, ergänzte sie, bevor die Bedienung fragen konnte. Als die Kellnerin weg war, lächelte Wallner Vera Kampleitner an, sagte aber nichts. Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist unhöflich, die Gerichte der Eingeborenen zu verschmähen. Entschuldigen Sie mich kurz.«
    Vera Kampleitner verabschiedete sich auf die Toilette. Die Zeit nutzte Wallner, um seinen Großvater Manfred anzurufen und ihm zu sagen, dass es etwas später werden würde, stellte jedoch fest, dass Manfred nicht ans Telefon ging. Wallner überlegte, ob er sich Sorgen machen sollte, entschied dann aber, dass Manfred wahrscheinlich den Fernseher zu laut gestellt hatte und deswegen das Telefon nicht hörte. Manfred hörte für sein Alter noch ganz gut. Nur mit den hohen Klingeltönen des Telefons hatte er Probleme. Wallner wählte die Nummer des Handys, das Manfred für Notsituationen immer dabeihatte. Das Handy war eingeschaltet, aber Manfred ging nicht dran.
    »Sie rufen zu Hause an und sagen, dass es später wird?« Vera Kampleitner war in dem Moment an den Tisch zurückgekehrt, als Wallner nachdenklich sein Handy zuklappte.
    »Ja«, sagte Wallner. »Es geht aber keiner dran.«
    »Wer sollte denn drangehen?«
    »Mein Großvater. Manchmal hört er das Telefon nicht. Und jetzt geht er nicht einmal ans Handy. Das ist noch nie passiert.«
    »Ist er sehr alt?«
    »Er geht auf die achtzig zu. Eigentlich noch ganz fit. Aber in dem Alter kann immer was passieren.«
    »Verstehe. Ich würde mir auch Sorgen machen.«
    »Ich mach mir keine Sorgen. Höchstens ein bisschen. Ich versuche es in einer Stunde noch einmal. Dann kann ich mir immer noch Sorgen machen.«
    »Und wenn er gerade hilflos am Boden liegt?«
    »Mein Großvater ist zäh. Der hält das aus, wenn er eine Stunde länger am Boden liegt.«
    »Sie wohnen in Miesbach?«
    »Ja. Warum?«
    »Warum fahren Sie nicht kurz nach Hause und schauen nach, ob alles in Ordnung ist?«
    Wallner überlegte. Er würde die Zeit bis zu seiner Heimkehr unruhig sein, und das Essen würde ihm nicht schmecken. Andererseits wollte er Frau Kampleitner nicht alleine im Restaurant sitzen lassen. Nicht weil er sich zu ihr hingezogen fühlte, sondern weil es unhöflich war. Wallner sah aus dem Fenster. Es war bereits dunkel draußen, und viel Leben war nicht auf dem Platz. Drei Teenager lungerten mit Skateboards am Brunnen herum, und ein älterer Mann ging Arm in Arm mit einer hübschen, wenn auch etwas ordinär gekleideten jungen Frau spazieren. Wallner sah das Gesicht des Mannes nicht. Am Gang konnte man erkennen, dass er schon im Renten-, wenn nicht im Greisenalter war. Wäre die junge Frau etwas weniger ordinär gekleidet gewesen, hätte sie eine Altenpflegerin sein können, die einen ihrer Senioren an die frische Luft führte. Der alte Mann erinnerte Wallner an

Weitere Kostenlose Bücher