Schafkopf
mit einem Buch in der Hand bei Wallner. Es war eines jener Notizbücher mit schönem Einband, wie man sie in Papeterien kaufen konnte. Frau Grubers Buch war eine Art Tagebuch. Nach einigem Blättern hatte Frau Gruber die Seite mit dem 15 . Juni 2007 gefunden und fuhr mit ihrem Zeigefinger in einer schleifenartigen Bewegung darüber. Als der Finger zum Halten kam, sagte sie: »I hen’s doch gwisst. Neumond! Da war ich hier im Wald unterwegs.«
»Kräuter sammeln?«, wagte Wallner zu fragen.
»Ja, was denn sonst? Oder sammelet Sie Ihre Kräuter bei Vollmond?«
»Gott bewahre! Aber offenbar war außer dem Neumond noch etwas anderes bemerkenswert in dieser Nacht, oder hab ich das falsch verstanden?« Wallner sah zu Kreuthner, der Frau Gruber einen aufmunternden Blick zuwarf.
»Ja. Den Schuss hen ich g’hört.«
»Einen Schuss! Sie sind sicher, dass das ein Schuss war?«
»Freilich. Im Juni isch ja koi Jagdsaison. Deswege isch es mir komisch vergekommen.«
»Es kann auch kein Donner gewesen sein? Von einem nächtlichen Gewitter?«
Frau Gruber ließ ihren Finger im Buch kreisen. »Gewitter kann’s net g’wesen sein, weil des war a sternklare Nacht. Großer Wagen und Polarstern gut sichtbar.«
»War es nur
ein
Schuss?«
»Ein Schuss. Nur einer.«
»Wann und wo war das?«
»Des muss nach Mitternacht gewesen sein. Aber ich hen koi Uhr dabei, wenn ich sammel. Und wo des war – koi Ahnung. Irgendwo hier im Mangfalltal. Ich hab a ganz a schlechte Orientierung. Und dunkel war’s au. Neumond halt. Der Schuss, tät ich sage, kam mehr von da.« Sie deutete mit der Handfläche in südwestliche Richtung, dorthin, wo die Mangfall aus dem Tegernsee austrat.
»Sie haben also irgendwann in dieser Nacht so etwas wie einen Schuss gehört, wissen aber auch nicht annähernd, wo das gewesen ist.«
»Ich hen net
so was wie,
sondern ich hen
e Schuss
g’hört. Da bin ich mir sicher. Ich bin fascht jede Nacht heraußen. Des bild ich mir net ein.«
»Warum sind Sie damals nicht zur Polizei gegangen?«
»Ich hab die nächsten Tag die Zeitung g’lesen. Isch aber nix dring’stanne, dass sie wen erschosse hätte oder dass wer vermisst wird. Wird a Wilderer gewesen sein, hen ich mir denkt.«
Wallner blickte zu Kreuthner. Der versuchte, den Vorwurf in Wallners Blick zu ignorieren.
»In der Nacht is die Hoogmüller verschwunden«, rechtfertigte sich Kreuthner. »Da kriegt so a Aussage doch ganz a anderes Gewicht.«
»Wär schöner, wenn wir wenigstens ungefähr wüssten, wo wir nach einer Leiche suchen sollen.« Wallner beherrschte sich nur mit Mühe.
»Warum fraget Sie net die Beilhammerin? Die kann Ihne des bestimmt sage.«
»Wer ist das?«
»Die betreibt den Andenkelade in Schliersee.«
»Qualifiziert die Dame sonst noch etwas dafür, der Polizei bei der Arbeit behilflich zu sein?«
»Die spricht mit Toten«, sagte Frau Gruber, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Wallner sah sie irritiert an.
»Der Mensch, der wo in der Nacht damals erschosse worde isch – ja der wird doch wisse, wo er liegt.«
»Gut, Frau Gruber«, sagte Wallner. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wir werden der Sache nachgehen.« Wallner sah auf seine Uhr. »Schon fast vier. Die Zeit vergeht!« Der letzte Satz war mehr in Richtung Kreuthner gesprochen, der offensichtlich immer noch nicht einsehen wollte, dass er Wallners Zeit gestohlen hatte.
»Also ich find des a super Idee mit der Beilhammerin. Sie ham ja bestimmt die Telefonnummer da.«
»Tja, ich muss dann wieder.« Wallner verabschiedete sich mit einer flüchtigen Geste, stieg ins Auto und fuhr weg. Kreuthner, Holl und Frau Gruber sahen dem Wagen hinterher, bis er in den Nebel eintauchte. Dann zupfte Frau Gruber Kreuthner am Arm.
»Der glaubt mir net. Aber ich sag Ihne: Die Tote liegt hier im Tal. Ich spür’s doch jede Nacht, wie ihre Seele umherirrt und koi Ruhe findet.«
Kreuthner sah die Frau zweifelnd an. »Geben S’ mir die Nummer von der Beilhammerin?«
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39 . Kapitel
M ike hatte während Wallners Abwesenheit mit der Leitzachziegel AG telefoniert. Das Beschäftigungsverhältnis mit Falcking war zum 31 . Juli 2007 beendet worden, angeblich auf eigenen Wunsch von Falcking, der wieder als freier Anwalt praktizieren wollte. Wenn man Falckings magere Kanzleiumsätze mit den üppigen Gehaltsüberweisungen aus seiner Angestelltenzeit verglich, war dieser Wunsch kaum nachvollziehbar. Es drängte sich die Vermutung auf, dass Falcking hatte gehen müssen. Vermutlich
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